Operation Casanova

casanova
Zum Sterben schön ist Annas Kleid – kein Wunder, dass ihr Kontrahent dafür über Leichen geht. Aber auch andere textile Creationen lassen zwielichtige Zeitgenossen zu Mördern werden…
Einige der bekanntesten deutschsprachigen Krimiautorinnen und Autoren haben ihren Kleiderschrank geöffnet, in Mottenkisten gestöbert und sich auf Modenschauen inspirieren lassen, um in ihren Storys den unterschiedlichsten Textilien einen kriminellen Touch anzudichten.
Kurzkrimis von Nessa Altura, H.P. Karr, Ralf Kramp, Arnold Küsters, Paul Lascaux, Ulla Lessmann, Sandra Lüpkes, Niklaus Schmid, Klaus Stickelbroeck u.a.



Operation Casanova

Story
Von H.P.Karr

Er saß im Bistro des »Treffpunkts im Hallenbad« und sah aus wie jemand, der ein gutes Bier und einen guten Freund brauchen konnte. Das Bier hatte er vor sich stehen, und um den Rest konnte ich mich kümmern.
Ich riß mich von den strahlend blauen Augen der Blondine an der Ecke des Tresens los und setzte mich neben ihn. Mitte vierzig, ein paar Kilo zuviel ein paar Haare zu wenig. "Reden Sie ein bißchen mit mir!", sagte ich.
Sein skeptischer Blick streifte erst die Blondine und dann mich.
"Sehen Sie", sagte ich, "ich werde die Blonde gleich ansprechen. Da sieht es besser aus, wenn ich hier vorher nicht wie ein depressiver loser herumsitze, sondern wie ein netter Typ, der mit einem Kollegen was trinkt!"
Ich winkte dem Wirt. "Nochmal das gleiche für mich und noch ein Bier für meinen Freund!"
Er hieß Walter Kleinkemper, war Abteilungsleiter für Elektrokleingeräte im Baumarkt am Zunftweg, und er war gerade drüben wie alle zwei Tage seine 200 Meter geschwommen, um fit zu bleiben. Jetzt starrte er auf den Prospekt für eine Dampflok BR 50 mit Schlepptender, Spur H0, den er vor sich liegen hatte.
"Ist sie nicht wunderbar?"
"Ist sie", sagte ich. "Ihr Hobby?"
Seine Modellbahn, erzählte Walter, im Keller seines Häuschens draußen in Spellen, war vier mal fünf Meter groß, und auf einer Hauptstrecke und zwei Nebenstrecken konnte er bis zu fünf Züge fahren lassen. Für die Steuerung hatte er mehr als einen Kilometer Kabel verlegt und knapp hundert Relais verbaut, alles günstig auf Mitarbeiterrabatt in seinem Baumark besorgt. Er erzählte von Fahrstraßenschaltungen, automatischer Gleisfreimeldung und seinem Halbrundlokschuppen mit Drehscheibe.
"Es ist eine eigene kleine Welt", sagte er und seine Augen bekamen einen ganz weichen Blick, "wenn ich da unten in meinem Keller am Schaltpult sitze und alles steuere. Züge, die in die Nacht fahren, Intercitys, die über die Gleise gleiten, Güterzüge, die in den Verschiebebahnhof rollen …" Er deutete auf den Prospekt. "Limitierte Serie. Nur dreihundert Euro. Ein Schnäppchen, verstehen Sie?" Er versank wieder in tiefes Brüten. "Inge wird mir wieder eine Szene machen."
"Ihre Frau?"
"Sie hasst die Modellbahn. Macht mir Vorwürfe, dass ich ihr Geld zum Fenster hinauswerfe." Er schüttelte den Kopf. "Von wegen »ihr Geld«, sie hat einfach nur Glück gehabt, dass sie die Aktien vor dieser ganzen Finanzkrise im letzten Herbst verkauft hat."
"Frauen!", sagte ich und schaute wieder zu der Blonden hinüber. "Ich denke, ich probiere es mal!"
"Viel Glück."
"Klar, ich weiß", sagte ich, "ich sehe nicht aus wie Brad Pitt oder Robbie Williams. Aber ich hab da so meine Tricks."


Die Geschichte dahinter:
Der kleine Trick, den unser Held anwendet, um Frauen zu verführen, soll natürlich hier nicht verraten werden. Nur soviel: Es geht um ein Schnupftuch des weltbekannten Abenteurers und Verführers  Giacomo Casanova, (1725–1798).  In seinen Memoiren schreibt er nämlich unter anderem über seinen Besuch in Wesel: 
"Als hierauf der wackere Engländer Näheres über meinen Krankheitszustand erfuhr, redete er mir zu, in Wesel zu bleiben, wo ein sehr geschickter und vorsichtiger junger Arzt von der Leydener Schule mich besser behandeln werde als die Braunschweiger Doktoren.
(...) Der junge Arzt, der die verkörperte Sanftmut war, lud mich ein, bei ihm zu wohnen. Er versprach mir, seine Mutter und seine Schwestern würden mich so sorgfältig pflegen, wie ich es nur wünschen könnte. Er gab mir die Zusicherung, er würde mich in sechs Wochen gründlich heilen, wenn ich ihm versprechen wollte, seine Vorschriften pünktlich zu befolgen. (...)  Von einer Preisvereinbarung wollte der Doktor nichts wissen. Er sagte mir, ich könnte ihm bei meiner Abreise geben, soviel ich wollte, und er würde damit sehr zufrieden sein. Er entfernte sich, um das für mich bestimmte Zimmer instand setzen zu lassen, und bat mich, eine Stunde später zu kommen. Ich ließ mein Gepäck hinschaffen und begab mich in einer Sänfte zu ihm. Ich schämte mich so sehr, daß ich mein Taschentuch vors Gesicht hielt, um dieses nicht der Mutter und den Schwestern des jungen Doktors zu zeigen. Sie empfingen mich in Gesellschaft einiger anderer junger Mädchen, die ich nicht einmal anzusehen wagte.



Ina Coelen (Hg):
Todschick
Mode und Morde am Tatort Niederrhein
249 Seiten, Taschenbuch
Krefeld: Leporello-Verlag, 2009
ISBN-13: 978-3-936783-32-2

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