Gonzo wird gejagt
Schimanskis Grab
Wo
gejagt wird, bleibt so mancher auf der Strecke. Eine exclusive
Jagdgesellschaft aus prominenten deutschen Krimi-Autoren begab sich
unter der Führung von Richard Birkefeld und Cornelia Kuhnert auf die
Pirsch. Mit dabei sind Anne Chaplet, Horst Eckert, Ralf Kramp, Regine
Kölpin, Christiane Franke, Christian Oelschläger, Bodo Dringenberg,
Sandra Lüpkes, Erwin Kohl und viele andere.
Was sie erlegen, kann man nachlesen in »Bock auf Wild«, einer Anthologie, die im Oktober 2010 im Heyne-Verlag erscheint.
Das Team Karr & Wehner steuerte zur mörderischen Jagd die Story von »Schimanskis Grab« bei.
Exclusive Preview auf die neue Gonzo-Story
Schimanskis Grab
Von Karr & Wehner
Gonzo
musste pissen. Nicht richtig, nur ein bisschen, aber wie er sein Glück
kannte, würde ausgerechnet dann, wenn er zum Hähnchengrill beim
ehemaligen GEMAR-Kino rüberging, etwas über den Polizeifunk kommen.
Er
stand jetzt schon seit einer halben Stunde mit seinem Kombi am
Gemarkenplatz. Es regnete. Nicht richtig, nur ein bisschen, aber ihm
war klar, dass es richtig anfangen würde, sobald er aus dem Wagen stieg.
Die Taxifahrer drüben auf ihrem Standplatz hingen in ihren Limousinen und tranken Kaffee aus Thermosbechern.
Es
war halb zehn, abends, keine direkt gute Zeit für einen guten Job. Die
besoffenen Discogänger waren noch nicht mit ihren Wagen unterwegs, die
Brummifahrer noch nicht müde genug, um gegen die Leitplanke zu brettern
und die illegalen Autorennen auf der A40 raus nach Mülheim hatten die
Bullen vor ein paar Monaten abgeschafft.
Ein Opa mit Hund und
Schirm schlappte vorbei und ließ seine Töle an Gonzos Hinterrad
pinkeln, während er die Schrift auf den Seitenteilen des Kombis
musterte. »Gonschorek Videoproduktion - TV und Werbung«. Gonzo wartete
darauf, dass er ihn fragen würde, ob er dieser Gonschorek sei, aber da
hatte der Köter auch schon fertigmarkiert und die beiden zogen ab in
Richtung Holsterhausen.
Hinten im Kombi lag die Suzie in
ihrem Schaumstoffbett, außerdem hatte Gonzo einen Sack voll frischer
Akkus und ein halbes Dutzend Tapes eingepackt. Bilder von zwei oder
drei Unfällen oder wenigstens ein Feuerwehreinsatz mussten drin sein,
am besten noch heute. Herbert aus der Redaktion des Regionalmagazins
fraß ihm im Augenblick aus der Hand, nahm alles was Gonzo lieferte, und
er hätte auch gern was geliefert, aber es passierte nichts. Nicht mal
ein bisschen.
Im Display des Funkscanners blinkten die
Anzeigen gelangweilt vor sich hin. Außer ein paar Unfällen mit
Blechschaden war nichts los. Und die Schlägerei bei einer
Hochzeitsfeier in Altendorf interessierte Gonzo schon gar nicht.
Schließlich hatten sie keine Kripo angefordert, nicht mal einen
Notarzt. Er schaute zu dem alten Gemar-Haus hinüber, versuchte sich den
Eingang des Supermarktes wegzudenken und die Erinnerung an das
Kinofoyer mit seinen Schaukästen und dem Kassenhäuschen
zurückzubekommen. Was hatte er dort gesehen? »Die Ratten von
Amsterdam«? Oder irgendeinen anderen Action-Knaller aus den Siebzigern?
In Farbe? Im Parkett oder auf dem Balkon?
***
Bevor
er den kompletten Nostalgie-Flash bekam, riss ihn der heulende Motor
eines weißen Sprinters aus seinen Gedanken. Er kam die Holsterhauser
Straße heruntergerast und kriegte auf den nassen Straßenbahnschienen
ganz knapp die Kurve in Richtung A40. Aus den Augenwinkeln erkannte
Gonzo gerade noch »Kühltheken-Service Kubitzki« auf den Seitenteilen,
dann war der Spuk auch schon vorbei.
Nur drei Sekunden später
quäkte der Alarm aus dem Polizeifunk. »Vorrang-Fahndung nach weißem
Sprinter mit Aufschrift Kühltheken Kubitzki.« Gonzo ließ den Kombi an
und haute den Gang rein. »Flüchtiges Fahrzeug unterwegs aus
Holsterhausen in Richtung Stadtmitte. Höchste Vorsicht. Kein
eigenmächtiges Handeln. Bei Kontakt sofort Meldung an Soko Haase!«
Gonzo kurbelte am Lenkrad und jagte über die durchgezogene Linie am
Taxistand vorbei auf die Hauptstraße. »Flüchtiger trägt gelben Overall
… ist bewaffnet und gefährlich…« Alles klar. Gonzo bretterte weiter und
hielt Ausschau nach dem Kühltheken-Sprinter. Der Abend würde doch noch
interessant werden. Wenigstens ein bisschen.
(...)
Unversehens gerät Gonzo in die
Jagd nach dem flüchtigen Gangster Armin Haase. Er wird von ihm als
Geisel genommen und es geht über die A40 (»Ruhrschnellweg«, für die Fachleute) weiter aus Essen heraus, nach Mülheim und dann in Richtung Duisburg:
An
Kreuz Kaiserhof schickte Haase ihn nach rechts auf die A3 Richtung
Duisburg. Gonzo spürte sein Herz nicht mehr bis zum Hals pochen, dafür
stank inzwischen der ganze Wagen nach seiner Pisse. Der Regen hatte
wieder nachgelassen, dünner Nebel zog auf. Die Scheinwerfer kamen
gerade noch dagegen an.
Haase blinzelte. »Langsamer. Links. Landschaftspark!«
Gonzo
ging vom Gas. Was wollte Haase auf abgewrackten Industriegelände mit
dem ganzen Museums-, Kunst- und Abenteuerzeug? Er räusperte sich. »Also
wenn du mich fragst…«
»Quatsch nicht. Landschaftspark. Da ist Schimanskis Grab!«
Haase schaffte es irgendwie, die Straße und Gonzo zugleich im Blick zu behalten.
»Klar«, sagte Gonzo. »Schimanskis Grab.«
Die Geschichte dahinter
Gonzo
is back - Heinrich »Gonzo« Gonschorek, der Videogeier aus dem
Ruhrgebiet ist wieder unterwegs. Im Kombi, auf den Straßen des Reviers,
immer ein Ohr am Funkscanner, immer auf der Lauer auf...
Sein
neues Abenteuer ist eine lupenreine action-Story mit schnellen
Schnitten, knappen Szenen und viel Geschehen. Dioe Fluchtstrecke, über
die der Gangster unseren Helden jagt, führt quasi an der Haustür von
H.P. Karr vorbei - um die Szene mit der Karambolage auf der
Wickenburgbrücke zu recherchieren, musste er mal für fünf Minuten aus
dem Haus....
Das erwähnte ehemalige Gemar-Kino auf der
Gemarkenstraße brachte ein paar Jugenderinnerungen zurück. Zwar haben
wir dort nicht »Die Ratten vom Amsterdam« gesehen (oder vielleicht
doch?), aber so manchen anderen Action-Knaller in den Siebzigern. Der
»Gemar-Palast«, so der offizielle Name, stammt aus dem Jahr 1930 und
war mit 1168 Plätzen eines der größten Kinos von Essen. Heute ist dort
- wie in vielen anderen alten Kinosälen - ein Supermarkt untergebracht.
Richard Birkefeld und Cornelia Kuhnert (Hg):
Bock auf Wild
15 tödliche Jagdstories
260 Seiten, Taschenbuch
München: Heyne, 2010
ISBN-10: 3453540115
ISBN-13: 978-3453540118
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