Das
ganze Jahr rum wird gemordet. Es beginnt sogar schon im alten Jahr. Für
Mia Morgowski ist der letzte Tag des Jahres, Silvester, eine tödliche
Veranstaltung. Und zwölf Monate und dreizehn Leichen später setzt
Sandra Lüpkes im Dezember den Schlusspunkt hinter dieses mörderische
Jahr.
Ein mörderisches Jahr mit Originalstorys von Mia
Morgowski, Alina Bronsky, Robert Hültner, Stefan Müller, Jan Costin
Wagner, Karr & Wehner, Udo Wachtveitl, Que Du Luu, Hagemann-Stitz,
Lautenbach-Ebend, Bernhard Jaumann, Richard Birkefeld, Robert Brack und
Sandra Lüpkes.
So fängt es an:
Nachbarschaftsgeschichte
Von
Karr & Wehner
Sie
waren alle schon da, als Gonzo in Eppendorf ankam: drei Blausilberne
von der Schutzpolizei, der Kombi von der Spurensicherung und die beiden
alten Vectras, mit denen die Kommissare vom Dauerdienst durch die
Gegend gurken mussten. Die Bestatter waren auch da. Mit drei Wagen.
Gonzo
machte sich gar nicht erst die Mühe, eine Parklücke zu suchen, sondern
pappte das PRESSE-Schild hinter die Windschutzscheibe und schwang sich
aus dem Kombi. Die Gaffer aus dem Einfamilienghetto an der
Sandhorststraße drängten sich hinter dem Flatterband, das die Schupos
vor der Nummer 17 gespannt hatten. Zwei Etagen, mit Garten und Carport,
Gonzo schätzte gut 150 Quadratmeter Wohnfläche mit Terrasse und
Wintergarten. Pfingstrosen und Grasnelken im Vorgarten, ein kindsgroßer
Plastikzwerg mit Angela-Merkel-Gesicht bewachte den blühenden Ginster
am Jägerzaun. Neben der Haustür ein Schild "Neighbourhoodwatch
Eppendorf", die Kette fürs Regenwasser von der Ecke des Vordachs endete
in einem Kiesfleck. Wohl der ökologische Ausgleich für den Landrover
mit dem Pferdeanhänger vor dem Carport.
Familiendrama, dachte Gonzo. Ganz klar.
Der Ginster stank nach Hundepisse.
Ein
paar neugierige Teenager fummelten mit ihren Handykameras herum,
palaverten etwas von "Total viel Bullen hier!" und "Absolut
abgefahren!" und verlangten nach Toto und Harry, den beiden Fernsehcops
aus Bochum, die es inzwischen zur eigenen Dokusoap gebracht hatten.
Die
anderen Spanner gehörten ganz klar zu den Nachbarhäusern in der
Anliegerstraße, die einen Bogen über die Eppendorfer Höhe ins
Drei-Länder-Eck zwischen Bochum, Wattenscheid und Dahlhausen schlug.
Hinter der Kurve ging es weiter hinunter zum Bahnhof Dahlhausen an der
Ruhr, gleich neben dem Eisenbahnmuseum, für dessen Promo-Video Gonzo
letzten Sommer einmal mit dem Nostalgie-Zug quer durchs Ruhrgebiet
gegondelt war.
Ein Typ in klassischer Lehrer-Uniform -
Strickjacke und Breitcordhose - beäugte Gonzo misstrauisch, als er die
Suzie von der Ladefläche holte und sich ein paar Akkus in die Taschen
seiner Rangerweste stopfte. Bei drei Leichenwagen war bestimmt was drin.
Der
Lehrer trug einen Sticker mit einer Ente auf der Jacke und studierte
mit den Armen hinterm Rücken die Aufkleber auf den Seitenteilen des
Kombis. "Gonschorek Videoproduktion - TV und Werbung. Sind Sie das?"
Gonzo
kümmerte sich nicht um ihn, ihm saß die Zeit im Nacken. Er hatte sich
trotz Navi hinter der Ausfahrt Stahlhausen verfranst und erst durch
halb Eppendorf gurken müssen, bis er die Sandhorststraße gefunden
hatte. Die Konkurrenz hatte natürlich auch am Funkscanner gehangen und
die Meldung mitgekriegt: "Dreimal 108, Sandhorststraße, KD alarmiert."
108
hieß Gewalt gegen Menschen und war alles von der Kneipenschlägerei bis
zum Familienkrach, und normalerweise kein Grund, das Gas durchzutreten.
Selbst
ein einzelner 108er in Eppendorf wäre auch noch nichts Aufregendes
gewesen, aber dreimal 108 klang nach etwas Größerem. Eppendorf war
nicht die Bronx in Bochum oder in Gonzos Kiez in Altenessen, wo dreimal
oder fünfmal 108 nur die übliche Wochenendschlägerei zwischen
verfeindeten Großfamilien war.
"Halt mal hoch!" Gonzo
drückte dem Lehrer die Dispo seines letzten Einsatzes für das
WDR-Studio - "Gänsereiten in Wattenscheid – Brauchtum an der Ruhr" - in
die Hand und machte auf die Schnelle einen Weißabgleich mit der Suzie.
Der Himmel war bedeckt, das Mailicht mittelprächtig, aber es würde
gehen.
"Alles klar, wegtreten!" Aus den Augenwinkeln sah er
noch, wie eine brünette Hausfrau sich an den Lehrer ranschob und
irgendetwas klingelte in seinem Hinterkopf, aber dann war er schon
unterwegs zur Absperrung.
.....
weiterlesen im "13 Morde hat das Jahr", erschienen im Oktober 2009
Die Geschichte dahinter
Gonzo
is back - Heinrich »Gonzo« Gonschorek, der Videogeier aus dem
Ruhrgebiet ist wieder unterwegs. Im Kombi, auf den Straßen des Reviers,
immer ein Ohr am Funkscanner, immer auf der Lauer auf...
Sein
erster neuer Einsatz führt ihn nach Bochum-Eppendorf. Wundern Sie sich
nicht, wenn Sie die Sandhorster Straße, in der die Einfamilienhäuser
stehen, nicht bei Google Earth finden. Die haben wir erfunden - bzw wir
haben eine reale Straße ein wenig umbenannt. Warum? Nun ja... um, wie
man so sagt: »um Unbeteiligte zu schützen«.
Jan Costin Wagner (Hg):
Dreizehn Morde hat das Jahr
260 Seiten, Taschenbuch
München: Heyne, 2009
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