Lexikon der deutschen Krimi-Autoren
seit 1986 im Dienste des Verbrechens....
Reinhard Jahn
Die Regeln der Gewalt
Terrorismus und politische Gewalt im deutschen und internationalen Kriminal- und Unterhaltungsroman

-unkorrigiertes Autorenmanuskript-

"Wahrscheinlich würden sie scheitern: Sterben oder in Haftanstalten landen wie ihre Vorgänger. Aber wollte nicht für immer so sein wie die große schweigende Mehrheit (...) Eine hoffnungslose Lage. Es gab genügend Zeichen. Selbst wenn er nicht an sie glaubte, wenn sie nichts bedeuteten, würde sich die Wirklichkeit eines Tages nach ihnen richten, in einer Art prästabilisierter Harmonie. Das war dann das Ende. Andere Gruppen würden an ihre Stelle treten, ihre Plätze einnehmen. Rechte wie linke."
Peter Schmidt: Die Regeln der Gewalt, Reinbek  1984

Zusammengeschrumpft auf die drei Mitglieder des harten Kerns, zerrissen von endlosen Theoriedebatten und unter dem ständigen Fahndungsdruck des Bundeskriminalamtes bleibt den Untergrundkämpfern der Terroristengruppe KOBKA nur noch die Aktion: Anschläge auf den BKA-Computer, Attentate auf Fahnder und Großbankiers und zuletzt der große Schlag gegen die parlamentarische Demokratie. "Die Regeln der Gewalt" bestimmen in Peter Schmidts gleichnamigen Polit-Thriller das Handeln der Terroristen.

    Ausgehend von einer politisch-gesellschaftlichen Situation, die der augenblicklichen Lage in der BRD vergleichbar ist, entwickelt der Gelsenkirchener Autor die alle ideologischen Prämissen nivellierende Eigendynmik der Gewalt zu einem Stück political fiction mit dem Anspruch, Realität zu verarbeiten. Obwohl Peter Schmidt mit seinem Roman in der deutschsprachigen Thriller-Szene nicht die erste literarische Thematisierung politisch motivierter Gewalt ist, hat er mit "Die Regeln der Gewalt" die bislang am konsequentesten durchdachte und darüberhinaus noch eine erzählerisch gekonnt präsentierte Arbeit zu diesem Thema geliefert; ein Roman der ohne weiteres den Vergleich mit dem Klassiker des Genres - Maj Sjöwalls und Per Wahlöös "Die Terroristen" - aushält.

    Mehr als fünfzehn Jahre nach dem Beginn der außerparlamentarischen Protestbewegung und der aus ihr hervorgegangenen politisch motivierten Gewalt ist der Terrorismus nicht nur zum scheinbar alltäglichen Bestandteil unseres Lebens, sondern auch zum plausiblen Gegenstand der Unterhaltungsliteratur geworden. Noch im selben Jahr wie Peter Schmidts Roman erschien in der thriller-Reihe des Rowohlt-Verlages "Der Schattenboxer" von Werner Waldhoff, in dem die Verwicklung eine "Sympathisanten" in eine an die Schleyer-Entführung erinnernde Kommando-Aktion beschrieben wird.

"Viele junge Leute fangen 'politisch' an. Sie rauben und töten, behaupten sie, aus 'politischen Gründen'. Aber dann gewöhnen sie sich daran, Geld zu besitzen, das sie nicht verdient haben, in teuren Autos zu fahren, die sie nicht gekauft haben. Das korrumpiert. Wir wissen, so ist es in Deutschland und auch in Italien und Frankreich passiert."
Alan Scholefield: Terror in Berlin (Berlin Blind, 1980) Berlin 1983/84


 Die sukzessive Verarbeitung politisch motivierter Gewalt im deutschen Kriminalroman könnte nicht nur Indiz für eine fortschreitende Erweiterung des literarischen Genres, sondern auch Beweis für die genre-immanente Assimilation eines gesellschaftlichen Phänomens sein. Gestützt wird die Vermutung durch die Beobachtung, daß die Darstellung terroristische Gewalt in den meisten anglo-amerikanischen Polit-Thrillern zum Versatzstück einer dem Genre eigenen Spannungsdranmaturgie.

    Beginnend mit "Der Schakal" (DE 1979) und den weiteren Romanen  von Frederick Forsyth über "Der fünfte Reiter" (DE 1980) von Larry Collins und Dominique Lapierre oder "An den Wassern" von Babylon (DE 1978) und "Die Kathedrale" von Nelson DeMille bis zu "Ypsilon" von Marvin H. Albert hat sich besonders im anglo-amerikanischen Bereich das Subgenre des Terror-Thrillers entwickelt, das sich Planung, Ausführung und Verhinderung von politisch motivierten Attentaten und Aktionen zum Thema setzt.

    Auch in der ersten größeren deutschen Arbeit dieser Spielart - Gerhard Eisenkolb verwendete 1975 in München Shalom, das Olympia-Attentat von München  als zeitgeschichtlichen Hintergrund - ist politischer Terrorismus zum Ersatzchiffre für jene zynisch-entmentscht gezeichneten Repräsentanten des Kommunismus, die in den Agenten- und Spionageromanen der fünfziger und sechziger Jahre die sogenannte freie Welt bedrohten.

    Die PLO, die PFLP, der Schwarze September und der von den Medien stilisierte 'Top-Terrorist' Carlos sind an die Stelle von KGB, GRU, SMERSH und SPECTRE getreten, mit denen sich James Bond (von Ian Fleming), Matt Helm (von Donald Hamilton) oder Sam Durell (von Edward S. Aarons) und O.S.S. 117 (von Jean Bruce) hatten auseinandersetzen müssen.
   
Verbindungslinien der Roman-Terroristen zu den Erzfeinden hinter dem Eisernen Vorhang werden mitunter überdeutlich herausgestellt, gestützt werden derartige Thriller-Konstruktionen von zweifelhaften Sachbüchern wie beispielsweise "Das internationale Terrornetz" von Claire Sterling, aber auch von ernstzunehmenden Berichten wie "Der Baader-Meinhof-Komplex" von Stefan Aust.


"Meine Zeit im Gefängnis war unendlich hart für mich. Meine Auflehnung gegen den staatlichen Zwang und die totale Unterdrückung wurde mit noch wachsender Gewalt beantwortet. (...) Die Sinnlosigkeit der Repression führte zur Ausbildung meines Hasses. Ich schlug um mich, wo ich konnte, mußte aber anerkennen, daß meine Ohnmacht eine direkte Folge der absoluten Macht der anderen Seite war. Das führte zu der Erkenntnis, nur die Schaffung von Gegengewalt könne zur Verhinderung von Unterdrückung führen. Die Welt, in die ich hineingezwungen war (...) erschien mir immer mehr als Spiegelbild der realen Verhältnisse auch außerhalb der Mauern. ich nutzte die Zeit und las sehr viel. Und ich gewann nicht nur die theoretische Überzeugung, daß den Machtmitteln eines Staates nur durch die politisch motivierte Gewalt zu begegnen ist. Anders ist ein Sieg unmöglich, will man Systemveränderung und nicht einen bloßen Machtwechsel."
E.W. Pless: Geblendet , Zürich 1979


    Im deutschen Kriminalroman war nach seiner Emanzipation von anglo-amerikanischen Vorbildern bis ungefähr 1980 kein Platz für die Darstellung der terroristischen Gewalt, die zwischen 1972 und 1977 die gesellschaftliche Atmospähre in der Bundesrepublik entscheidend geprägt hatte - dies erscheint um so verblüffender, als daß doch gerade die "neuen deutschen" Krimi-Autoren -ky, Friedhelm Werremeier und Micheal Molsner - ihre Themen erklärtermaßen aus dem Alltag zu beziehen behaupteten.

    Terrorismus und politisch motivierte Gewalt wurden als Themen populärer Sachbücher und der allgemeinen Belletristik aus der gesellschaftlichen in die literarische Diskussion geführt: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) von Heinrich Böll thematisierte die publizistische und "Die Herren des Morgengrauens" (1978) von Peter O. Chotjewitz die öffentliche Gewalt der Sympathisantendiskussion. Bernward Vesper lieferte in "Die Reise" (1977) Marginalien zu Ursprung und Entwicklung des Terrorismus, Uwe Timm arbeitete Teile der Studentenbwegung in "Heißer Sommer" (1974) auf, und F.C. Delius beschäftigte sich 1981 in Ein Held der inneren Sicherheit mit der Bedrohung durch politisch motivierte Gewalt.

    Ein Jahr darauf erst taucht ein terroristischer Gewalttäter erstmals in einem deutschen Kriminalroman  auf: Detlef Wolff beschreibt 1982 in "Katenkamp und der tote Briefträger" in einem einem Handlungsstrang die Entwicklung eines 'ausgestiegenen' Terroristen, der Zeuge eines Mordes wird und in ein Rauschgiftgeschäft gerät. Zentrales Motiv des Romans ist und bleibt dabei allerdings stets die sich zur Rauschgiftaffäre erweiternde Morduntersuchung, von deren personaler Erzählung der Terrorismus-Handlungsstrang als Ich-Monolog auch stilistisch deutlich abgehoben ist.

    Ein ebenfalls von der Zwecklosigkeit politisch motivierter Gewalt überzeugter Aussteiger steht im Mittelpunkt von "Steig aus, wenn du kannst" (1983) des 1968 aus der DDR übergesiedelten Horst Boas. Obwohl sich in diesem Kriminalroman die zum Zeitpunkt seines Entstehens aktuelle Situation der Rote Armee-Fraktion in karger und teilweise lächerlicher Verschlüsselung widerspiegelt, gerinnt das plot zu einer simplen Gangster- und Vigilantenballade, die lediglich Handlungschiffren des Western- und Action-Romans unter das Etikett einer Pseudo-Aktualität faßt, die sich aus zusammengesuchten Zeitungsmeldungen speist.


"Klar, er hatte von vornherein gewußt, auf was er sich einließ. Spät, viel zu spät war er zu der bitteren Einsicht gelangt, daß ihr Weg der falsche war. Man konnte diesen Staat nicht mit Bomben und MPis verändern, und schon gar nicht, indem man eine Großkopfete entführte oder umlegte. Dafür gab es deren zuviele."
Horst Boas: Steig aus, wenn du kannst, Bergisch-Gladbach 1983


    Terroristische Aktionen als Hintergrund- und Ergänzungsmaterial einer durchaus konventionell konstruierten Kriminalhandlung fanden sich schon 1977 in "Der Atomkrieg von Weihersbronn" (1977) von dem unter dem Pseudonym Felix Huby schreibenden ehemaligen SPIEGEL-Redakteur Eberhard Hungerbühler. Im Rahmen einer Mordermittlung, in die unter anderem die seinerzeit auf ihrem Höhepunkt stehende Bürgerinitiativen-Bewegung als Handlungsstrang eingeht, taucht als Nebenaspekt die Drohung eines sogenannten "Roten Bataillons" auf, das Stuttgarter Trinkwasser zu verseuchen.

    Bereits 1979 erschien unter dem Titel Geblendet ein überdurchschnittlich exakt recherchierter Roman über die Beziehungen des deutschen Terrorismus in den Nahen Osten, insbesondere zum PLO und zum Schwarzen September. Die vorgeblich nach den "authentischen Papieren eines Terroristen" verfaßte Lebensbeichte des unter dem Pseudonym E.W. Pless auftretenden Autors schildert die Entwicklung des Großhandelskaufmanns Baruch, der nach einr Ausbildung bei der PLO zum Organisator des palästinensischen Terrors in der BRD wird.
 
  Der in der militärischen und politischen Dimension sehr faktenreiche Roman zeigt allerdings eine deutliche Lücke bei der Beschäftigung mit den Konzepten der deutschen Stadtguerilla. Stattdessen wird ausführlich auf die individulle Entscheidung des Protagonisten für die politische Gewalt eingegangen, wobei allerdings bereits der Titel Geblendet auf die sich am Ende der Erzählung andeutende Läuterung hinweist - letztlich also auch hier eine Aussteigergeschichte, auch wenn der Gesinnungswandel in diesem Fall End- und nicht Anfangspunkt der Erzählung ist..

    Das Erleben politisch motivierter Gewalt durch die christliche Falange in Beirut bewirkt den Einstellungswandel, der zu einer Abkehr führt: "Wir wollten den wahren Menschen als Ziel", heißt es in einem inneren Monolog, "was aber schufen wir? Kreaturen, die auf steinigem Untergrund zum Tier und Schlachtvieh degradiert wurden. (...) Gewalt. Sie ist Einseitigkeit, ist Fixiertheit, woher und aus welchen Motiven sie auch kommen mag."

    Während bei E.W. Pless (Pseudonym für Willi Voss) der Gesinnungswandel das Ziel der Erzählung wird, ist dieser Vorgang bei Detlef Wolff und Horst Boas Ausgangspunkt der Handlung. Retrospektiv und schlaglichtartig beleuchten beide Autoren den Ausstieg ihrer Figuren, der sich an dem Teroristen Hans-Joachim Klein und seiner seinerzeit verbreiteten Parole "Werft die Knarre weg" orientiert. In beiden Fällen impliziert die Abkehr von der Gewalt  keinen Einstellungswandel übr die Notwendigkeit gesellschaftlicher Änderungen. Im Vordergrund steht jeweils die Erkenntnis, daß Gewalt ein untaugliches Mittel zur Veränderung der politischen und gesellschaftlichen  Struktur ist.

    Weder Detlef Wolff, Horst Boas und Peter Schmidt halten in ihren Handlungsentwürfen eine eingehendere Darstellung der Ursprünge des politischen Terrorismus für notwendig. Ansätze zu einer tieferen Reflexion finden sich lediglich in den Romanen  "Der Schattenboxer" und, versteckt in einer stark biographisch gefärbten Geschichte, in "Querschläger" von Werner Waldhoff.

Die studentische Protestbewegung, die ersten, gegen das US-Engagement ausgerichteten Konzepte der deutschen Stadtguerilla finden in den erwähnten Romanen keinen Eingang. Der Terrorismus erscheint in den plots losgelöst von einer ideologisch-politischen Theorie und wird in den schlechteren Romanaufarbeitungen zudem noch auf verworrene und gescheiterte Weltverbesserungsphantasien reduziert. Der dargestellte Terrorismus beschänkt sich auf die Beschreibung seiner Erscheinungsformen und Aktionen, und lediglich Peter Schmidt versteht es ansatzweise, die Eigendynamik des Untergrundkampfes vermittelnd nachzuvollziehen.

    Mit der Beschränkung auf die problemlos in das von Aktion und Spannung gebildete Koordinatenkreuz des Krimi- und Thriller-Genres zu übernehmenden Versatzstücke der Realität wurde nur eine thematische, nicht aber inhaltliche Entwicklung vollzogen. Mit einer Verzögerung von mehr als fünf Jahren näherte sich der deutsche Kriminalroman dem Phänomen der politisch motivierten Gewalt, und selbst in dieser Verzögerung wurde der Kontakt überwiegend in der Fiugur des "Aussteigers" gesucht.

    Dadurch, daß Terrorismus lediglich in seiner zur Gewaltkriminalität mutierten Form zur Kenntnis genommen wurde, hat der deutsche Kriminalroman seinen selbstgesetzten Anspruch auf Realitätserfassung ad absurdum geführt. Gesellschaftliche und politische Realität wurde lediglich als Baustein in den Regelkanon übernommen und zum topos degradiert, der weniger den realen als den genre-immanenten Gesetzen gehorcht.
    Der populäre Unterhaltungs- und Spannungsroman hat sich die von den Sicherheitsbehörden verbreitete Interpretation zu eigen gemacht, die Terrorismus als pervertierte Gewaltkriminalität kennzeichnet und damit den dem Genre oft unterstellten systemkonformen und -erhaltenden Charakter belegt.


Veröfffentlicht in:
Die neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte 33 (1986) 6, 756-760.


Siehe dazu auch den Beitrag von
Carsten Würmann
How It All Is Coming to an End.
The Representation of German Left-wing Terrorism in Mystery Novels
bei alligatorpapiere.de
http://www.alligatorpapiere.de/krimitipvierzig-neun.html#6
H.P. Karr:
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