Reinhard Jahn Die Regeln der Gewalt Terrorismus und politische Gewalt im deutschen und
internationalen Kriminal- und Unterhaltungsroman
-unkorrigiertes Autorenmanuskript-
"Wahrscheinlich würden sie scheitern: Sterben oder in Haftanstalten
landen wie ihre Vorgänger. Aber wollte nicht für immer so sein wie die
große schweigende Mehrheit (...) Eine hoffnungslose Lage. Es gab
genügend Zeichen. Selbst wenn er nicht an sie glaubte, wenn sie nichts
bedeuteten, würde sich die Wirklichkeit eines Tages nach ihnen richten,
in einer Art prästabilisierter Harmonie. Das war dann das Ende. Andere
Gruppen würden an ihre Stelle treten, ihre Plätze einnehmen. Rechte wie
linke." Peter Schmidt: Die Regeln der Gewalt, Reinbek 1984
Zusammengeschrumpft
auf die drei Mitglieder des harten Kerns, zerrissen von endlosen
Theoriedebatten und unter dem ständigen Fahndungsdruck des
Bundeskriminalamtes bleibt den Untergrundkämpfern der Terroristengruppe
KOBKA nur noch die Aktion: Anschläge auf den BKA-Computer, Attentate
auf Fahnder und Großbankiers und zuletzt der große Schlag gegen die
parlamentarische Demokratie. "Die Regeln der Gewalt" bestimmen in Peter Schmidts gleichnamigen Polit-Thriller das Handeln der Terroristen.
Ausgehend von einer politisch-gesellschaftlichen Situation, die der
augenblicklichen Lage in der BRD vergleichbar ist, entwickelt der
Gelsenkirchener Autor die alle ideologischen Prämissen nivellierende
Eigendynmik der Gewalt zu einem Stück political fiction mit dem
Anspruch, Realität zu verarbeiten. Obwohl Peter Schmidt mit seinem
Roman in der deutschsprachigen Thriller-Szene nicht die erste
literarische Thematisierung politisch motivierter Gewalt ist, hat er
mit "Die Regeln der Gewalt" die bislang am konsequentesten durchdachte
und darüberhinaus noch eine erzählerisch gekonnt präsentierte Arbeit zu
diesem Thema geliefert; ein Roman der ohne weiteres den Vergleich mit
dem Klassiker des Genres - Maj Sjöwalls und Per Wahlöös "Die
Terroristen" - aushält.
Mehr als fünfzehn
Jahre nach dem Beginn der außerparlamentarischen Protestbewegung und
der aus ihr hervorgegangenen politisch motivierten Gewalt ist der
Terrorismus nicht nur zum scheinbar alltäglichen Bestandteil unseres
Lebens, sondern auch zum plausiblen Gegenstand der
Unterhaltungsliteratur geworden. Noch im selben Jahr wie Peter Schmidts
Roman erschien in der thriller-Reihe des Rowohlt-Verlages "Der
Schattenboxer" von Werner Waldhoff, in dem die Verwicklung eine "Sympathisanten" in eine an die Schleyer-Entführung erinnernde Kommando-Aktion beschrieben wird.
"Viele
junge Leute fangen 'politisch' an. Sie rauben und töten, behaupten sie,
aus 'politischen Gründen'. Aber dann gewöhnen sie sich daran, Geld zu
besitzen, das sie nicht verdient haben, in teuren Autos zu fahren, die
sie nicht gekauft haben. Das korrumpiert. Wir wissen, so ist es in
Deutschland und auch in Italien und Frankreich passiert." Alan Scholefield: Terror in Berlin (Berlin Blind, 1980) Berlin 1983/84
Die sukzessive Verarbeitung politisch motivierter Gewalt im deutschen
Kriminalroman könnte nicht nur Indiz für eine fortschreitende
Erweiterung des literarischen Genres, sondern auch Beweis für die
genre-immanente Assimilation eines gesellschaftlichen Phänomens sein.
Gestützt wird die Vermutung durch die Beobachtung, daß die Darstellung
terroristische Gewalt in den meisten anglo-amerikanischen
Polit-Thrillern zum Versatzstück einer dem Genre eigenen
Spannungsdranmaturgie.
Beginnend mit "Der
Schakal" (DE 1979) und den weiteren Romanen von Frederick Forsyth
über "Der fünfte Reiter" (DE 1980) von Larry Collins und Dominique
Lapierre oder "An den Wassern" von Babylon (DE 1978) und "Die
Kathedrale" von Nelson DeMille bis zu "Ypsilon" von Marvin H. Albert
hat sich besonders im anglo-amerikanischen Bereich das Subgenre des
Terror-Thrillers entwickelt, das sich Planung, Ausführung und
Verhinderung von politisch motivierten Attentaten und Aktionen zum
Thema setzt.
Auch in der ersten größeren deutschen Arbeit dieser Spielart - Gerhard Eisenkolb
verwendete 1975 in München Shalom, das Olympia-Attentat von
München als zeitgeschichtlichen Hintergrund - ist politischer
Terrorismus zum Ersatzchiffre für jene zynisch-entmentscht gezeichneten
Repräsentanten des Kommunismus, die in den Agenten- und Spionageromanen
der fünfziger und sechziger Jahre die sogenannte freie Welt bedrohten.
Die PLO, die PFLP, der Schwarze September und der von den Medien
stilisierte 'Top-Terrorist' Carlos sind an die Stelle von KGB, GRU,
SMERSH und SPECTRE getreten, mit denen sich James Bond (von Ian
Fleming), Matt Helm (von Donald Hamilton) oder Sam Durell (von Edward
S. Aarons) und O.S.S. 117 (von Jean Bruce) hatten auseinandersetzen
müssen. Verbindungslinien der
Roman-Terroristen zu den Erzfeinden hinter dem Eisernen Vorhang werden
mitunter überdeutlich herausgestellt, gestützt werden derartige
Thriller-Konstruktionen von zweifelhaften Sachbüchern wie
beispielsweise "Das internationale Terrornetz" von Claire Sterling, aber
auch von ernstzunehmenden Berichten wie "Der Baader-Meinhof-Komplex"
von Stefan Aust.
"Meine
Zeit im Gefängnis war unendlich hart für mich. Meine Auflehnung gegen
den staatlichen Zwang und die totale Unterdrückung wurde mit noch
wachsender Gewalt beantwortet. (...) Die Sinnlosigkeit der Repression
führte zur Ausbildung meines Hasses. Ich schlug um mich, wo ich konnte,
mußte aber anerkennen, daß meine Ohnmacht eine direkte Folge der
absoluten Macht der anderen Seite war. Das führte zu der Erkenntnis,
nur die Schaffung von Gegengewalt könne zur Verhinderung von
Unterdrückung führen. Die Welt, in die ich hineingezwungen war (...)
erschien mir immer mehr als Spiegelbild der realen Verhältnisse auch
außerhalb der Mauern. ich nutzte die Zeit und las sehr viel. Und ich
gewann nicht nur die theoretische Überzeugung, daß den Machtmitteln
eines Staates nur durch die politisch motivierte Gewalt zu begegnen
ist. Anders ist ein Sieg unmöglich, will man Systemveränderung und
nicht einen bloßen Machtwechsel." E.W. Pless: Geblendet , Zürich 1979
Im deutschen Kriminalroman war nach seiner Emanzipation von
anglo-amerikanischen Vorbildern bis ungefähr 1980 kein Platz für die
Darstellung der terroristischen Gewalt, die zwischen 1972 und 1977 die
gesellschaftliche Atmospähre in der Bundesrepublik entscheidend geprägt
hatte - dies erscheint um so verblüffender, als daß doch gerade die
"neuen deutschen" Krimi-Autoren -ky, Friedhelm Werremeier und Micheal
Molsner - ihre Themen erklärtermaßen aus dem Alltag zu beziehen
behaupteten.
Terrorismus und politisch
motivierte Gewalt wurden als Themen populärer Sachbücher und der
allgemeinen Belletristik aus der gesellschaftlichen in die literarische
Diskussion geführt: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) von
Heinrich Böll thematisierte die publizistische und "Die Herren des
Morgengrauens" (1978) von Peter O. Chotjewitz die öffentliche Gewalt
der Sympathisantendiskussion. Bernward Vesper lieferte in "Die Reise"
(1977) Marginalien zu Ursprung und Entwicklung des Terrorismus, Uwe
Timm arbeitete Teile der Studentenbwegung in "Heißer Sommer" (1974)
auf, und F.C. Delius beschäftigte sich 1981 in Ein Held der inneren
Sicherheit mit der Bedrohung durch politisch motivierte Gewalt.
Ein Jahr darauf erst taucht ein terroristischer Gewalttäter erstmals in
einem deutschen Kriminalroman auf: Detlef Wolff
beschreibt 1982 in "Katenkamp und der tote Briefträger" in einem einem
Handlungsstrang die Entwicklung eines 'ausgestiegenen' Terroristen, der
Zeuge eines Mordes wird und in ein Rauschgiftgeschäft gerät. Zentrales
Motiv des Romans ist und bleibt dabei allerdings stets die sich zur
Rauschgiftaffäre erweiternde Morduntersuchung, von deren personaler
Erzählung der Terrorismus-Handlungsstrang als Ich-Monolog auch
stilistisch deutlich abgehoben ist.
Ein
ebenfalls von der Zwecklosigkeit politisch motivierter Gewalt
überzeugter Aussteiger steht im Mittelpunkt von "Steig aus, wenn du
kannst" (1983) des 1968 aus der DDR übergesiedelten Horst Boas.
Obwohl sich in diesem Kriminalroman die zum Zeitpunkt seines Entstehens
aktuelle Situation der Rote Armee-Fraktion in karger und teilweise
lächerlicher Verschlüsselung widerspiegelt, gerinnt das plot zu einer
simplen Gangster- und Vigilantenballade, die lediglich
Handlungschiffren des Western- und Action-Romans unter das Etikett
einer Pseudo-Aktualität faßt, die sich aus zusammengesuchten
Zeitungsmeldungen speist.
"Klar,
er hatte von vornherein gewußt, auf was er sich einließ. Spät, viel zu
spät war er zu der bitteren Einsicht gelangt, daß ihr Weg der falsche
war. Man konnte diesen Staat nicht mit Bomben und MPis verändern, und
schon gar nicht, indem man eine Großkopfete entführte oder umlegte.
Dafür gab es deren zuviele." Horst Boas: Steig aus, wenn du kannst, Bergisch-Gladbach 1983
Terroristische Aktionen als Hintergrund- und Ergänzungsmaterial einer
durchaus konventionell konstruierten Kriminalhandlung fanden sich schon
1977 in "Der Atomkrieg von Weihersbronn" (1977) von dem unter dem
Pseudonym Felix Huby schreibenden ehemaligen
SPIEGEL-Redakteur Eberhard Hungerbühler. Im Rahmen einer
Mordermittlung, in die unter anderem die seinerzeit auf ihrem Höhepunkt
stehende Bürgerinitiativen-Bewegung als Handlungsstrang eingeht, taucht
als Nebenaspekt die Drohung eines sogenannten "Roten Bataillons" auf,
das Stuttgarter Trinkwasser zu verseuchen.
Bereits 1979 erschien unter dem Titel Geblendet ein
überdurchschnittlich exakt recherchierter Roman über die Beziehungen
des deutschen Terrorismus in den Nahen Osten, insbesondere zum PLO und
zum Schwarzen September. Die vorgeblich nach den "authentischen
Papieren eines Terroristen" verfaßte Lebensbeichte des unter dem
Pseudonym E.W. Pless auftretenden Autors
schildert die Entwicklung des Großhandelskaufmanns Baruch, der nach
einr Ausbildung bei der PLO zum Organisator des palästinensischen
Terrors in der BRD wird. Der in der
militärischen und politischen Dimension sehr faktenreiche Roman zeigt
allerdings eine deutliche Lücke bei der Beschäftigung mit den Konzepten
der deutschen Stadtguerilla. Stattdessen wird ausführlich auf die
individulle Entscheidung des Protagonisten für die politische Gewalt
eingegangen, wobei allerdings bereits der Titel Geblendet auf die sich
am Ende der Erzählung andeutende Läuterung hinweist - letztlich also
auch hier eine Aussteigergeschichte, auch wenn der Gesinnungswandel in
diesem Fall End- und nicht Anfangspunkt der Erzählung ist..
Das Erleben politisch motivierter Gewalt durch die christliche Falange
in Beirut bewirkt den Einstellungswandel, der zu einer Abkehr führt:
"Wir wollten den wahren Menschen als Ziel", heißt es in einem inneren
Monolog, "was aber schufen wir? Kreaturen, die auf steinigem Untergrund
zum Tier und Schlachtvieh degradiert wurden. (...) Gewalt. Sie ist
Einseitigkeit, ist Fixiertheit, woher und aus welchen Motiven sie auch
kommen mag."
Während bei E.W. Pless (Pseudonym für Willi Voss)
der Gesinnungswandel das Ziel der Erzählung wird, ist dieser Vorgang
bei Detlef Wolff und Horst Boas Ausgangspunkt der Handlung.
Retrospektiv und schlaglichtartig beleuchten beide Autoren den Ausstieg
ihrer Figuren, der sich an dem Teroristen Hans-Joachim Klein und seiner
seinerzeit verbreiteten Parole "Werft die Knarre weg" orientiert. In
beiden Fällen impliziert die Abkehr von der Gewalt keinen
Einstellungswandel übr die Notwendigkeit gesellschaftlicher Änderungen.
Im Vordergrund steht jeweils die Erkenntnis, daß Gewalt ein
untaugliches Mittel zur Veränderung der politischen und
gesellschaftlichen Struktur ist.
Weder
Detlef Wolff, Horst Boas und Peter Schmidt halten in ihren
Handlungsentwürfen eine eingehendere Darstellung der Ursprünge des
politischen Terrorismus für notwendig. Ansätze zu einer tieferen
Reflexion finden sich lediglich in den Romanen "Der Schattenboxer"
und, versteckt in einer stark biographisch gefärbten Geschichte, in
"Querschläger" von Werner Waldhoff.
Die studentische
Protestbewegung, die ersten, gegen das US-Engagement ausgerichteten
Konzepte der deutschen Stadtguerilla finden in den erwähnten Romanen
keinen Eingang. Der Terrorismus erscheint in den plots losgelöst von
einer ideologisch-politischen Theorie und wird in den schlechteren
Romanaufarbeitungen zudem noch auf verworrene und gescheiterte
Weltverbesserungsphantasien reduziert. Der dargestellte Terrorismus
beschänkt sich auf die Beschreibung seiner Erscheinungsformen und
Aktionen, und lediglich Peter Schmidt versteht es ansatzweise, die
Eigendynamik des Untergrundkampfes vermittelnd nachzuvollziehen.
Mit der Beschränkung auf die problemlos in das von Aktion und Spannung
gebildete Koordinatenkreuz des Krimi- und Thriller-Genres zu
übernehmenden Versatzstücke der Realität wurde nur eine thematische,
nicht aber inhaltliche Entwicklung vollzogen. Mit einer Verzögerung von
mehr als fünf Jahren näherte sich der deutsche Kriminalroman dem
Phänomen der politisch motivierten Gewalt, und selbst in dieser
Verzögerung wurde der Kontakt überwiegend in der Fiugur des
"Aussteigers" gesucht.
Dadurch, daß
Terrorismus lediglich in seiner zur Gewaltkriminalität mutierten Form
zur Kenntnis genommen wurde, hat der deutsche Kriminalroman seinen
selbstgesetzten Anspruch auf Realitätserfassung ad absurdum geführt.
Gesellschaftliche und politische Realität wurde lediglich als Baustein
in den Regelkanon übernommen und zum topos degradiert, der weniger den
realen als den genre-immanenten Gesetzen gehorcht.
Der populäre Unterhaltungs- und Spannungsroman hat sich die von den
Sicherheitsbehörden verbreitete Interpretation zu eigen gemacht, die
Terrorismus als pervertierte Gewaltkriminalität kennzeichnet und damit
den dem Genre oft unterstellten systemkonformen und -erhaltenden
Charakter belegt.
Veröfffentlicht in: Die neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte 33
(1986) 6, 756-760.
Siehe dazu auch den Beitrag von Carsten Würmann
How It All Is Coming to an End.
The Representation of German Left-wing Terrorism in Mystery Novels bei alligatorpapiere.de http://www.alligatorpapiere.de/krimitipvierzig-neun.html#6
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