x. Deutscher Krimi
Preis 2003
National
1. Platz: Friedrich
Ani: Süden und der Straßenbahntrinker
Jeremias Holzapfel kam auf die Vermisstenstelle, um mitzuteilen, er sei
wieder da. Kurios daran ist nur: Niemand hat ihn als vermisst gemeldet!
Und so nimmt sich TaborSüden diesem seltsamen Rückkehrer
an – und tritt mit
ihm eine Reise in eine schmerzhafte Vergangenheit an …
Friedrich
Ani:
Süden
und das Geheimnis der Königin
Bei den Unterlagen eines Mannes, der in einem scheinbar leer stehenden
Haus verhungerte, entdeckt die Kripo den Namen einer Frau: Soraya Roos.
Sie wird, nachdem sie von einem Tag auf den anderen ihre Familie
verlassen hatte, seit mehr als zehn Jahren vermisst, und Kommissar
Tabor Süden beginnt erneut mit der Suche.
Friedrich
Ani: Süden und die
Frau
mit dem harten Kleid
Rudi Tink ist verrückt.
Sagen die Leute. Er hockt in seinem Atelier und
schafft Skulpturen aus Kalkstein. Figuren, die Frauen aus seiner
Nachbarschaft nachempfunden sind. Und eines Tages ist
Rudi Tink spurlos verschwunden. Alle scheinen erleichtert. Doch
Kommissar Süden findet heraus, dass außer dem Bildhauer auch
eine Frau
verschwunden ist, offenbar eine enge Freundin Tinks ...
(alle Knaur)
Unter den vielen Gründen,
Friedrich
Ani den derzeit vielleicht besten deutschen Kriminalschriftsteller zu
nennen,
will ich drei hervorheben: Seine Plots fallen aus dem Rahmen; er
verteidigt
die Lebenden gegen die Toten; er schreibt wie Schubert.
Tabor
Süden und seine
Kollegen
vom Münchner Kommissariat 114 klären nicht wie in den meisten
anderen Krimis Morde auf, sondern Vermissungen, Vermisstenfälle.
Nicht
der Tod mit seiner Endgültigkeit steht am Beginn ihrer
Ermittlungen,
sondern eine offene, verflixt schwer zu klärende Frage: Ist die
verschwundene
Person tot oder hat sie sich in ein neues Leben davongemacht? So
geschah
es im Fall Süden und das Geheimnis der Königin: Aus einer
unhaltbar
verfahrenen und schuldbeladen Situation rettet eine junge Frau sich in
ein an-deres Land und Leben.
Wer kennt
nicht die Sehnsucht,
noch
einmal von vorn anzu-fangen, alles hinter sich zu lassen? Von dieser
Sehnsucht
le-ben die Romane um Tabor Süden.
Doch sie
sind keineswegs
süßlich-romantisch,
und Ani ist auch nicht everybodys darling. Zwar sanft, aber
unerbittlich
dringen seine Ermittler in seelische Zonen und Zustände vor, die
man
nur allzu gerne meiden würde. Dort, wo Süden dem
verschwundenen
Leben nachgeht, ist äußerlich Schwabing oder die Toskana. Im
Innern der Menschen aber brodeln Schuld, Hass, Verzweiflung und oft
eine
Ausweglosigkeit, aus der Mord noch die leichteste Ausflucht wäre.
Es ist
dieses – beängstigende
und erschütternde - Einfühlungsvermögen, das Anis
Bücher
weit aus der Masse der gegenwärtigen Verbrechensliteratur
heraushebt.
Ob wir wollen oder nicht: Ani ergreift uns im Innern, und wir
müssen
ihm in die Quellgebiete der Gefühle folgen, dorthin, wo sie reine,
tödliche oder auch lebensrettende Energie sind.
Dort
angelangt, kommt uns die
häufig
erhobene Forderung eher oberflächlich vor, Kriminalromane oder
auch
die Justiz sollten nicht so sehr von den Tätern, sondern
stärker
von den Opfern ausgehen. In den Grenzbereichen, in die Ani, dieser
Verführer,
uns zieht, verstehen wir plötzlich: Alle Menschen sind Opfer.
(Tobias
Gohlis)
2.
Platz: Martin Suter:
Ein
perfekter Freund
(Diogenes)
Der Journalist Fabio Rossi erwacht im Krankenhaus mit einer
rätselhaften Kopfverletzung und einem totalen Blackout - er kann
sich an nichts mehr erinnern. Nur nach und nach gelingt es ihm
allmählich, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Und was da zum
Vorschein kommt, erschreckt ihn zutiefst. Warum bloß hat er
seinen Job bei der Zeitung gekündigt? Und was hat es auf sich mit
der "ganz großen Sache", an der er angeblich drangewesen ist?
Er ist
ein eleganter Stilist,
pointiert ist seine Prosa, geschliffen und fein ziseliert sind seine
Formulierungen.
Wenn der Schweizer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor Martin
Suter seine Geschichten niederschreibt, dann ist da nichts zu viel und
nichts zu wenig. Martin Suter, 1948 in Zürich geboren und heute in
Spanien und Guatemala lebend, erdenkt und findet zudem
wunderbar-lapidare
Bilder: "Der Himmel über der
Altstadt verdunkelte sich rasch wie
ein
Glas Wasser, in das ein Tropfen Tusche gefallen war".
So schreibt Suter
in seinem Kriminalroman Ein
perfekter Freund, der wochenlang die
Bestsellerlisten
zierte.
Nach Small World und Die
dunkle
Seite des Mondes ist Ein
perfekter Freund der dritte Roman von
Martin
Suter. Darin erzählt er die Geschichte einer Selbstfindung -
für
Identitätskrisen hat der Autor ein literarisches Faible - und die
eines gesellschaftlichen Skandals. Suters Hauptfigur ist der Journalist
Fabio Rossi, der eines Tages im Krankenhaus erwacht und sich an die
letzten
fünfzig Tage seines Lebens nicht mehr erinnern kann. Er weiß
nicht, wer die Blondine an seinem Bett ist, er weiß auch nicht,
warum
er seinen gut dotierten Zeitungsjob geschmissen hat. Also recherchiert
Fabio Rossi sein eigenes Leben - und entdeckt nicht nur sich selbst
neu,
sondern muss auch erfahren, dass der Genuss von Schokolade nicht nur
süße
Folgen zeitigt. Jedenfalls dann nicht, wenn sie mit BSE verseucht ist.
Martin
Suter erzählt seine
exakt recherchierte Geschichte in einem fast beiläufigen Ton,
wobei
er immer wieder wie selbstverständlich zu jener kleinen Volte
findet,
die die Spannung und die Erwartung auf das Kommende schürt: Da
bewegt
sich Martin Suter dann souverän in der
klassisch-angelsächsischen
Tradition.
Volker
Albers
(Hamburger Abendblatt)
3.
Platz: Richard
Birkefeld / Göran Hachmeister: Wer übrig bleibt, hat
recht
(Eichborn)
Winter 1944, irgendwo in Deutschland. In
einem Militärkrankenhaus
kuriert der SS-Offizier Kalterer eine Schußverletzung aus – und
macht
sich Gedanken über seine Zukunft. Er weiß, daß der
Krieg verloren ist
und er das Strafgericht der Sieger zu fürchten hat.
Zur
gleichen Zeit nimmt der entflohene KZ-Häftling Ruprecht Haas in
Berlin
grausame Rache an denen, die er für sein und seiner Familie
Schicksal
verantwortlich macht. Als sich unter den Mordopfern auch ein
hochrangiger Parteigenosse findet, bekommt Kalterer von höchster
Stelle
den Auftrag, den Fall aufzuklären.
Die Welt im Krieg, eine Stadt im
Krieg, Menschen im Krieg. Es sind die letzten Tage des Zweiten
Weltkrieges,
in denen Birkefeld und Hachmeister ihren Roman ansiedeln, die Stadt ist
Berlin. Es sind die Bombennächte und -tage, die die
Kriminalgeschichte
strukturieren, die die Figuren ein ums andere Mal herumtreiben: aus den
Wohnungen in die Keller, aus den Kellern in die Straßen, aus den
Straßen in die Vororte und wieder zurück. Eine
Kriminalgeschichte
in einem Kriegssezenario - das klingt gewagt bis zynisch - und das
hätte
es auch werden können, wäre da nicht die bestechende
Faktentreue
der beiden Autoren, mit der sie das Leben - und den Tod - in der
zerbombten
Stadt schildern. Der Stadt, in der ein einzelner Mann mordet. Nach den
landläufigen Vorgaben des Krimis wäre er ein
Serienmörder,
und der Mann, der ihn jagt wäre ein Held. Doch der Mann, der im
zerbombten
Berlin des Jahres 1945 mordet, hat einen - kann man sagen "guten"? -
Grund.
Und dass der Ermittler ausgerechnet zur gefürchteten Geheimen
Staatspolizei
gehört, ist nur eine weitere der zahlreichen Wendungen des
üblichen
Krimi-Verlaufs.
Es
heißt, wenn Unrecht zu
Recht wird, würde Widerstand zur Pflicht - und Göran
Hachmeister
und Richard Birkefeld gebührt in ihrem ersten gemeinsamen
Kriminalroman
das Verdienst, vor dem beeindruckend bildstarken Hintergrund diese und
andere Fragen anzusprechen - und sie uns, dem Leser, zu stellen. Und
dafür,
dass sie uns verunsichern, dass sie die Form des Kriminalromans auf
ihre
ganz eigene Art verwenden, erweitern und ausloten, dafür verdienen
sie Anerkennung - und den Deutschen Krimi Preis.
Reinhard Jahn (Bochumer
Krimi-Archiv)
International
1. Platz: Robert
Wilson:
Tod in Lissabon
(A small death in Lisbon)
Deutsch von Kristian Lutze
(Goldmann)
In Lissabon wird ein junges Mädchen ermordet. Bei seinen
Ermittlungen
stößt Inspektor Zé Coelho auf eine Spur, die weit in
die Vergangenheit
zurückweist: Einst ging ein deutscher SS-Offizier im neutralen
Portugal
auf die Jagd nach einem kriegswichtigen Metall - und setzte einen
Teufelskreis aus Mord und Erpressung in Gang. Und daher sind neugierige
Inspektoren noch heute so manchem offiziellen Würdenträger
ein Dorn im
Auge...
Eigentlich
sind es zwei
Geschichten,
die Wilson auf den immerhin 580 Seiten von Tod in Lissabon
erzählt.
Die eine ist eine Mordermittlung im Lissabon der Gegenwart, die andere
eine komplizierte politische Intrige und Abenteuergeschichte. Sie
beginnt
mit dem Versuch der deutschen Nationalsozialisten, sich während
des
zweiten Weltkriegs im formell neu-tralen Portugal in den Besitz von
rüstungswichtigem
Wolfram zu setzen und weitet sich aus zu einem Höllenfresko der
Salazar-Diktatur.
Grandios
spielt Wilson mit den
Erwartungen seiner Leser: obwohl von Beginn an feststeht, dass der Mord
heute und die Wolfram- und Schwarzgoldgeschichte irgendwie mit einander
verknüpft sind, präsentiert er eine Lösung, mit der
absolut
nicht zu rechnen war. Auf dem Weg dahin legt er Schicht um Schicht
finstere
portugiesische Vergangenheit und Gegenwart bloß: den Terror der
faschistischen
Geheimpolizei PIDE, die Verquickung des Salazar-Regimes mit
Nazideutschland
und internationalen Politverbrechern. Die herrschende Clique des
Landes,
das sich Wilson übrigens mit seiner Familie zur Wahlheimat
gewählt
hat, stellt er als gefühlskalte, ehrbeses-sene und raffgierige
Bande
von Mördern dar. Das Erstaunli-che an diesem Epos, das 1999 mit
dem
Gold Dagger der Cri-me Writers Association als bester britischer Roman
ausge-zeichnet wurde, ist die Souveränität, mit der Wilson
alle
Klischees umgeht, die bei einem Wälzer von Dumas-Format beinahe
unvermeidbar scheinen. Wilson ist ein begnadeter Figu-renzeichner und
hält
kühl wie Eric Ambler seinen Protagonisten jede
Handlungsmöglichkeit
offen: Seine Helden und Antihelden machen ihre Geschichte selbst und
tragen
dafür auch die Verantwortung, bis zum Tod.
Tobias
Gohlis
(DIE ZEIT)
2. Platz: Ian Rankin:
Puppenspiel
(The falls)
Deutsch von Christian Quatmann
In Edinburgh verschwindet eine Studentin aus
den höchsten Kreisen. Und
Rebus ahnt, dass man Philippa Balfour nicht mehr lebend finden wird.
Als in der Nähe ihres Heimatorts ein kleiner Holzsarg mit einer
geschnitzten Puppe auftaucht, scheinen sich seine Befürchtungen zu
bestätigen. Denn es ist nicht der erste Sarg - und nicht der erste
rätselhafte Todesfall, der mit einem derartigen Fund in Verbindung
steht ...
Ian Rankin: Verschlüsselte Wahrheit
(The black
book)
Deutsch von Ellen Schlootz
Der Fall wurde nie
geklärt: Vor fünf Jahren brannte das Central-Hotel
in Edinburgh nieder, und die Ermittlungen verliefen rasch im Sande.
Jetzt nimmt Detective Sergeant John Rebus die Fährte wieder auf,
denn
er gerät an Informationen, die niemals in den Ermittlungsakten
auftauchten. Kein Wunder - sie würden einige hochrangige Personen
bei
der Polizei schwer belasten.
(beide Goldmann)
Was macht
ein Mann, der sich
seine Brötchen bereits als Schweinehirt, Steuereintreiber und
Alkoholtester
verdiente, um sich unmittelbar mit Erscheinen seines ersten Buches,
1987,
an die Spitzen der internationalen Krimi-Bestsellerlisten zu
katapultieren?
Er kreiert
einen Kerl, 15 Jahre
älter als er selbst, mit psychischen Problemen,
Bindungsängsten,
einer jähzornigen Ader und dem Talent, sich bei Vorgesetzten,
Kollegen
und Untergebenen unbeliebt zu machen.
Dann gibt
er diesem Polizisten
nicht nur schlechte Zähne und Rettungsringe mit auf den Weg,
sondern
auch einen unfehlbaren Instinkt in Verbindung mit schon fast sturer
Beharrlichkeit,
der ihn nicht nur zielsicher das nächste Pub finden sondern auch
Fälle
lösen lässt, die bis dato nur von ihm selbst als solche
erkannt
wurden.
Und,
voilà, fertig ist
John Rebus, oft schwermütiger, nie aber schwerfälliger Held
mit
reichlich Fehl und Tadel, dem es im Verlauf seiner bisher
fünfzehnjährigen
Existenz stets gelungen ist, den Finger dahin zu legen, wo es am
meisten
weh tut.
In die
Skandale,
Korruptionsaffären,
Serienmorde, großen und kleinen Scheußlichkeiten, von denen
man nie geglaubt hätte, dass sie im vermeintlich so beschaulichen
Schottland jemals ein Thema sein könnten.
Dabei hat
sich der bekennende
Büchersammler Rebus stets weiterentwickelt, ist nachdenklicher
geworden
und auch ein wenig zugänglicher seinen Mitmenschen gegenüber.
Die Figur
dieses bockigen,
borstigen
und beneidenswert beliebten Protagonisten ist so realitätsnah wie
seine Fälle sind, und so authentisch, weil er eben alles andere
als
edel, hilfreich und gut ist. Kein Wunder also, dass Fans wie Kritiker
auch
nach nunmehr dreizehn Bänden und diversen erfolgreichen
Verfilmungen
nicht genug von Rebus bekommen können.
Hoffen wir
also, dass er noch
recht lange Stammgast in der (übrigens tatsächlich
existierenden)
Oxford Bar in Edinburghs Young Street bleiben wird. Slainté!
Michaela
Pelz (krimi-forum.de)
3. Platz: Dennis Lehane:
Spur
der Wölfe / Mystic River
(Mystic
River)
Deutsch von Andrea Fischer
(Ullstein) <>
Sean Devine, Jimmy Marcus und Dave Boyle
waren in ihrer Kindheit
miteinander befreundet - bis zu dem Tag, an dem ein sonderbarer Wagen
in ihrer Straße aufkreuzte und einen von ihnen mitnahm. Etwas
Schreckliches passierte, das ihre Freundschaft beendete und die drei
Jungen für immer veränderte.
Anstelle
einer ausführlichen
Laudatio auf Dennis Lehane, für Spur
der Wölfe (Mystic
River),
hier ein paar nüchterne Fakten:
- 1995 -
wurde "A Drink Before The
War" als Best First P.I. Novel mit dem "Shamus Award" der Private Eye
Writers
of America ausgezeichnet
- 1998
vergab das Nero Wolfe Pack
den "Nero Wolfe Award" für "Sacred"
- 1999
erhielt Dennis Lehane
für
"Gone, Baby, Gone" den "Barry Award" des Deadly Pleasure Magazine und
den
"Dilys Award" der Independent Mystery Bookseller Association
- und die
unabhängige Jury
des Bochumer Krimi Archivs sprach Dennis Lehane gleich dreimal in Folge
den 3. Platz in der Sparte International zu, und zwar
2001
für "Kein Kinderspiel"
2002
für "Regenzauber"
2003
für "Spur der Wölfe"
Dass sich
kurz nach Erscheinen von
"Mystic River" im Januar 2001 der Titel bereits auf den meisten
US-amerikanischen
Bestseller-Listen wiederfand, sollte daher keine Überraschung
sein.
Damit aber nicht genug: Clint Eastwood persönlich rief den
erstaunten
Autor gleich nach Erscheinen von "Mystic River" an, um sich die
Filmrechte
an diesem Thriller zu sichern!
Um seine
Schreibweise, die
exellente
Stilsicherheit und perfekte Plotgestaltung zu beschreiben, sei hier
Lehane
selbst zitiert: "Character is action, the oldest law of writing. Plot
is
just a vehicle in which you see them act".
Besten
Dank, Dennis Lehane,
für
Ihre Angie Gennaro & Patrick Kenzie-Serie (die Sie hoffentlich bald
weiterführen werden) und herzliche Gratulation zum 3. Platz des
Deutschen
Krimi Preises für "Spur der Wölfe" in der Sparte
International!
Thomas
Przybilka
(BoKas - Bonner Krimi-Archiv Sekundärliteratur)
BESONDERE
ANERKENNUNG
Eine
besondere Anerkennung spricht
die Jury dem Distel-Literaturverlag
Heilbronn für die Werkausgabe
des französischen Autors Jean-Patrick Manchette aus.
In
einer Zeit, in der gigantische
Verlagsfusionen Orwells Albträume wahrscheinlicher werden lassen,
sind die kleinen Verlage das Salz in der Suppe. Sie veröffentlich
und pflegen unter hohem Einsatz Autoren, die ohne die kleinen Verlage
kaum
Chancen hätten, und halten ästhetische Alternativen ge-gen
den
Mainstream offen.
Deshalb
war es eine folgerichtige Entscheidung der
Jury
des Deutschen Krimipreises, in diesem Jahr erstmals einen dieser
kleinen
innovativen Verlage besonders zu ehren, ohne die unsere literarische
Kultur
wesentlich ärmer wäre.
Unter
allen ehren- und
lobenswerten
Kandidaten war es diesmal der Heidelberger Diste-Literaturverlag, der
symbolisch die Palme der Unabhängigen erhält.
Seit
seiner
Gründung
1999 importiert er den neuen Kriminalroman aus dem französischen
und spanischen Sprachraum. Freche und irritierende Stimmen wie
Jean-Bernard
Pouy, Chantal Pelletier oder Didier Daeninckx, wie Joaquín
Baquero,
Rolo Diez oder Jordi Sierra i Fabra würden hierzulande gar nicht
oder
nur wesent-lich schlechter vernommen, gäbe es den
DistelLiteraturVerlag
nicht.
Doch ausschlaggebend für die
Jury war die verlegerische Leistung, das Romanwerk des jung
verstorbenen
Jean-Patrick Manchette in einer neuen, zeitgemäßen und
literarisch
au-thentischen Übersetzung wieder zugänglich zu machen. Denn
Manchette ist ein literarisch hoch interessanter Autor. Er versuchte
nämlich,
seine spannenden, brutalen und hoffnungslo-sen Geschichte so zu
erzählen,
dass der Leser einerseits mit-gerissen wird, andererseits aber doch
skeptisch
bleibt und nie vergisst, dass ihm etwas vorgemacht wird. Doch
hochaktuell
und wie für unsere Tage geschrieben lesen sich die zwischen 1971
und
1981 entstandenen Thriller, weil Manchette darin seinem Zweifel an
rechten
wie linken, religiösen und pseudo-religiösen
Erlösungsideologien
radikalen Ausdruck verleiht. Ob Menschenrechtler oder
Menschheitsbeglücker,
ob Freiheitskämpfer oder Staatsterroristen – der Jazzfan und
Klaus-trophobiker
Manchette zeichnet sie alle als gierige, abgefeimte Beutelratten, denen
man umso mehr misstrauen muss, je lauter sie von Moral, Gott und
Staatsräson
tönen.
Unser Dank gebührt Marion von
Hagen, der mutigen Verlegerin, und den beiden Übersetzern Stephan
Linster und Christina Mansfeld, die uns den Blick in den schwarzen
Spiegel
Manchette ermöglicht haben.
Tobias Gohlis (DIE
ZEIT)
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