21. Deutscher Krimi
Preis 2005
National
1. Platz: Astrid
Paprotta: Die
ungeschminkte Wahrheit
(Piper)
Das Opfer sah sie aus
starren, blicklosen Augen an. Aber Kommissarin
Ina Henkel kannte die Augen Ermordeter. Beunruhigender war für sie
die
Tatsache, daß in dem Gesicht des Obdachlosen alles glänzte:
Tusche,
Lidschatten, Lippenstift und Rouge, alles zu dick aufgetragen, als sei
es für die Ewigkeit gedacht. Was hatte das zu bedeuten? Und
weshalb
trug der Tote einen dreimal gefalteten Zettel bei sich, auf dem ein
einziges Wort geschrieben stand? Eine Spur führt zu der beliebten
TV-Moderatorin Denise Berninger. Doch bevor Ina Henkel mit ihren
Ermittlungen vorankommen kann, geschehen weitere Morde – und alle Opfer
sind grell geschminkt …
Die Frankfurter Oberkommissarin Ina Henkel, die einen Kollegen
erschossen hat und unter den traumatischen Folgen leidet, ihren Job
manchmal nicht sehr kompetent erledigt und ihr Privatleben nicht auf die
Reihe kriegt, erklärt sich nicht aus der literarischen Tradition der
»melancholischen KommissarInnen mit Beziehungsproblemen«, sondern direkt
aus der Realität. Und der Plot des Romans, der eine beängstigend
rasante Entwicklung von einer Phantasmagorie hin zu knochenharter
Realpolitik aus dem Themenfeld Innere Sicherheit nimmt, ist auch keine
der üblichen Paranoia- und Verschwörungskisten, sondern dreht sich
radikal realitätstüchtig um Menschen, die in dieser Gesellschaft keine
Lobby haben. Und das darf man nicht mit Gutmensch-Gesülze verwechseln.
Paprottas Perspektive auf den Gegenstand ihres Erzählens folgt keinen
literarischen resp. intellektuellen Moden und Betriebsmechanismen,
sondern dem, was auf den Straßen los ist, bzw. los sein könnte. Ein sehr
albtraumhaftes Buch - und vermutlich deswegen hoch plausibel.
(Thommas Wörtche)
2. Platz: Frank
Schätzing: Der
Schwarm
(Kiepenheuer & Witsch)
Ein Fischer verschwindet vor
Peru, spurlos. Ölbohrexperten stoßen in
der norwegischen See auf merkwürdige Organismen, die hunderte
Quadratkilometer Meeresboden in Besitz genommen haben.
Währenddessen
geht mit den Walen entlang der Küste British Columbias eine
unheimliche
Veränderung vor.
Nichts von alledem scheint miteinander in
Zusammenhang zu stehen. Doch Sigur Johanson, norwegischer Biologe und
Schöngeist, glaubt nicht an Zufälle. Auch der indianische
Walforscher
Leon Anawak gelangt zu einer beunruhigenden Erkenntnis: Eine
Katastrophe bahnt sich an. Doch wer oder was löst sie aus?
Während
die Welt an den Abgrund gerät, kommen die Wissenschaftler zusammen
mit
der britischen Journalistin Karen Weaver einer ungeheuerlichen Wahrh
eit auf die Spur.
Frank Schätzing entfaltet sein Schreckensszenario erfreulich
schnell, erfreulich spannend und erfreulich fies (von einigen Figuren
darf sich der Leser schon nach einem knappen Drittel verabschieden).
Von der Funktion des Golfstroms über die Geologie der
Meeresböden, von den verheerenden Riesenwellen, den Tsunamis, bis
zur überraschend banalen Erklärung des Phänomens
Bermuda-Dreieck ist der Thriller prall gefüllt mit komplexen
wissenschaftlichen Theorien, die Schätzing mit leichter Feder
veranschaulicht. Gewiss, die Schwarte ist nicht ganz frei vom
üblichen Öko-Gejammer (böser, böser Mensch!).
Andererseits umschifft der Autor elegant ein paar esoterische Klippen,
auf die man seinen Roman schon zuzusteuern wähnte -
anthroposophisches Zeugs von Freund Delphin und Bruder Indianer.
(Jan C. Schmidt / kaliber38.de)
3. Platz: Oliver
Bottini: Mord im Zeichen des
Zen
(Scherz)
Louise Bonì, Hauptkommissarin bei der Freiburger Kripo aus dem
Dezernat
Kapitalverbrechen, 42 Jahre alt, geschieden, steht wieder einmal vor
einem tristen Wochenende mit den Schatten der Vergangenheit. Doch dann
stört ein Anruf des Dezernatsleiters ihre Erinnerungen, und Louise
bekommt den merkwürdigsten Auftrag ihrer Karriere als Polizistin:
Sie
soll einen japanischen Mönch suchen, der östlich von Freiburg
in
Sandalen und Kutte durch den verschneiten Breisgau streift, und
herausfinden, was er vorhat. Als sie den Mönch eingeholt hat, wird
ihr
rasch zweierlei klar: Er ist verletzt, und er ist auf der Flucht.
Oliver Bottini entwickelt daraus eine spannende dunkle Geschichte mit einer
außergewöhnlichen Heldin: Louìse Bonì (...) trinkt, seit sie vor
Jahren einen Mann erschossen hat. Ihre Alkoholprobleme sind auch der
Grund, weshalb sie vom Dienst suspendiert wird, um sich einer
psychologischen Behandlung zu unterziehen. Doch die Frau ist hartnäckig,
sie folgt dem Mönch eine Nacht lang durch die eisige Kälte, den
wärmenden Flachmann immer griffbereit, und kann doch nicht verhindern,
daß ein Kollege erschossen und ein anderer angeschossen wird von jenen
Gestalten, die es auf den Mönch abgesehen haben. Nur warum der Mönch
verfolgt wird und von wem, das bleibt vorerst ein Rätsel. Schließlich
gelangt auch Bonì in das einsame Kloster, das Leben dort und die
Begegnung mit den Mönchen beginnen ihr Leben zu verändern.
Bottinis Debüt zieht seine Spannung auch aus den konträren Polen,
zwischen denen er die Geschichte ansiedelt - zum einen die in sich
gekehrte Welt der friedliebenden Mönchen, zum anderen das von Gewalt
geprägte Denken skrupelloser Geschäftemacher und ihrer Lakaien.
(Volker Albers / Hamburger Abendblatt)
International
INTERNATIONAL:
1. Platz: Ian Rankin: Die Kinder des Todes
(A Question of Blood)
Deutsch von Claus Varrelmann
(Goldmann/Manhattan)
In dem beschaulichen Küstenstädtchen South Queensferry
erschüttert ein
Blutbad die Öffentlichkeit: In einer Schule hat der ehemalige
Elitesoldat Lee Herdman zwei Jungen erschossen, einen schwer verletzt
und anschließend sich selbst getötet. Als John Rebus und
seine Kollegin
Siobhan Clarke zu dem Fall gerufen werden, gibt es eigentlich nur eine
offene Frage: warum? Die Suche nach der Antwort führt die beiden
Ermittler in das Herz einer kleinen Gemeinschaft und ihrer verlorenen
Kinder. Eine zweite Spur reicht weiter in die Vergangenheit des
Täters,
dessen Schicksal Rebus nicht mehr loslässt. Selbst ehemaliges
Mitglied
der Special Air Forces, versucht er, sich in die Psyche Herdmans zu
versetzen, um dessen Tat zu begreifen.
Ein wenig scheint es, als sei Ex-Einzelkämpfer John Rebus -
zumindest
teilweise - zum teamfähigen Polizisten mit Herz geworden, was dem
einstmals so zynischen Raubein nicht schlecht zu Gesicht steht.
Doch hat sich Autor Ian Rankin deswegen noch lange nicht, der leichten
Unterhaltungslektüre verschrieben. Seine Figuren bleiben
gebrochene
Gestalten, Außenseiter der Gesellschaft, Verlierertypen. Junge
Menschen, deren Abstieg auf ihrem weiteren Lebensweg bereits durch die
Geschichte ihrer Vorfahren vorprogrammiert ist. Und Erwachsene, die von
den Gespenstern der eigenen Vergangenheit regelrecht zu Tode gejagt
werden.
(Michaela Pelz / krimi-forum.de)
2. Platz: Arne
Dahl: Falsche Opfer
(Upp till
toppen av berget)
Deutsch von Wolfgang Butt
(Piper)
Per Karlsson hat nichts gesehen.
Nicht einmal den brutalen Mord an dem
jungen Mann, der am Tisch neben ihm erschlagen wurde. Karlsson gibt
vor, in Ovids "Metamorphosen" versunken gewesen zu sein. Kurz darauf
ereignet sich auf einem Industriegelände unweit des Tatorts eine
blutige Auseinandersetzung: Zwei verfeindete Banden wollen einen
Aktenkoffer an sich bringen, der den Schlüssel zu einem Banksafe
enthält. Als die Polizei eintrifft, fehlt von dem Koffer jedoch
jede
Spur. Die Stockholmer Sondereinheit um Paul Hjelm jagt zwei
Verdächtige: Sonja, die Tochter eines der Bandenführer und
Per
Karlsson.
Innerhalb der ungemein boomenden
skandinavischen Kriminalliteratur
zählt Arne Dahl zu den profiliertesten Autoren. Er versteht es
meisterlich, Atmosphären der Bedrohung zu entwerfen, seine Figuren
sind
charakterlich komplex, die Geschichten kompakt und zwingend entwickelt.
Arne Dahl ist fraglos ein Schriftsteller von internationalem Format.
Jedes seiner Bücher belegt das aufs neue.
(Volker Albers / Hamburger Abendblatt)
3. Platz: Petros
Markaris: Live!
(O tse aftoktonise)
Deutsch von Michaela Prinzinger
(Diogenes)
30 Jahre nach der Militärdiktatur steht der einstige Juntagegner
Favieros auf dem Gipfel des Erfolgs. Sein Bauunternehmen floriert - die
Vorbereitungen für die Olympischen Spiele 2004 laufen auf
Hochtouren.
Was also bringt ihn dazu, sich vor laufender Kamera zu erschießen?
Nach dem
Bauunternehmer begehen noch ein Politiker und ein Journalist
öffentlich Selbstmord. Kommissar Kostas Charitos führen seine
Recherchen weit
zurück in die Vergangenheit. Die drei Männer waren
Widerstandskämpfer gegen die
Junta, hatten sich aber inzwischen im kapitalistischen System gut
eingerichtet.
Auch in seinem dritten Roman zeichnet Petros Markaris ein kritisches,
sehr
lebendiges Bild der Stadt Athen und der griechischen Gesellschaft
insgesamt,
nicht nur an den kriminellen Rändern, sondern auch im Zentrum der
politischen
Klasse. Die Familie schließlich ist für Charitos kein Ort
der Geborgenheit,
besonders mit seiner herrschsüchtigen, kochwütigen Frau
Adriani ist regelmäßig
Streit angesagt. Markaris hält souverän die Spannung
über 500 Seiten, der
Drehbuchautor (für Theo Angelopoulos) und Übersetzer (Faust ins Griechische)
ist einer der Altmeister des europäischen Kriminalromans.
(Wilhelm Roth)
Besondere
Anerkennung:
Die Jury spricht
dem Unionsverlag, Zürich,
dem Maas-Verlag, Berlin, und
dem Pendragon-Verlag,
Bielefeld, ihre Anerkennung für ihre Programmarbeit aus.
Die Jury
Kritiker: Volker
Albers (Hamburger Abendblatt) / Andreas Ammer (ARD) /
Sönke Boldt (Badische Neueste Nachrichten) / Jens Dirksen (NRZ) /
Joachim Dörr / Tobias Gohlis (DIE ZEIT) / Günther Grosser /
Reinhard Jahn (Bochumer Krimi-Archiv) / Hermann Kling / Alf Mayer /
Ulrich Noller (WDR) / Michaela Pelz (krimi-forum.de) / Wolfgang
Platzeck (WAZ) / Wilhelm Roth / Jan Christian Schmidt (kaliber38.de) /
Erhard Schütz / Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Willy
Theobald (Financial Times Deutschland) / Jürgen M. Thie / Bettina
Thienhaus (epd-film) / Karl Wegmann / Thomas Wörtche (nur
Kategorie NATIONAL)
Krimi-Buchhandlungen:
Gabriele Fauser (Glatteis, München) /
Hildegard Gansmüller (Die Wendeltreppe, Frankfurt) Juliane Hansen
(Under-Cover, Stuttgart) / Christian Koch (Hammett, Berlin) / Thomas
Przybilka (Missing Link, Bonn) / Manfred Sarrazin (Alibi, Köln) /
Robert Schekulin (UFO, Freiburg) / Tilman Thiemig (Mord &
Totschlag, Braunschweig) / Udo Aschemeyer (Heiner K, Hamburg)
|