Regina Schleheck / Mechthild Zimmermann
Sonne, Mord und Ferne
Urlaub weckt Sehnsüchte. Nach Meer, Metropolen,
Müßiggang oder Mördergruben. Auch Balkonier sind vor Abgründen und
Höhenflügen nicht gefeit. Sie möchten wissen: Was zu tun ist, wenn die
schönste Zeit im Jahr zum Albtraum wird? Wer einem im Urlaub so richtig
auf die Nerven gehen kann? Wo Sie die Störenfriede im Sand verbuddeln
oder im Meer versenken können? Warum Seelenballast nicht im Handgepäck
mitgeführt werden soll? Wie man gefährliche Ferienfallen vermeiden kann?
Dann haben wir einen heißen Tipp für Sie: Sonne, Mord und Ferne:
Mordsgute Urlaubsgeschichten. Damit daheim und unterwegs beim Chillen
das Thrillen nicht auf der Strecke bleibt.
Mit dabei:
Karr & Wehner
Der Abstieg
»Und,
wie geht es Ihnen?«, fragte Frischmuth und zog sich einen
Krankenhausstuhl heran. »Ich wäre früher gekommen, aber es gab noch
etwas zu erledigen …«
Andreas Büchner schätzte ihn Mitte vierzig. Er hatte die dunkle Bräune,
die Europäer nach ein paar Jahren in Südamerika bekamen, war knapp
einssechzig groß und wirkte harmlos.
Frischmuth kam von der Botschaft in La Paz. »Wir kümmern uns um unsere Landsleute, wenn sie in Schwierigkeiten sind«, sagte er.
Büchner wusste nicht genau, warum er erst einmal ins Centro Medico
gebracht worden war. Außer Prellungen, Schürfwunden. Muskelschmerzen
und ein paar Problemen wegen der Dehydrierung hatte er keine
Beschwerden. Vermutlich ging es dem Tourveranstalter wohl eher darum,
Schadensbegrenzung zu betreiben und Versicherungsauflagen zu erfüllen.
»No pasa nada«, hatte auch Major Quispe von den Carabinieros gemeint.
»Nur eine Routineuntersuchung. Hier im Centro Medico sind Sie wirklich
gut aufgehoben!« Dem Major lag wohl vor allem daran, dass er wusste, wo
er Büchner finden konnte.
»Keine
Sorge, wenn man Sie hier entlässt, nehme ich Sie mit nach La Paz«,
hatte Frischmuth ihm versprochen. »Von da aus können wir Sie dann mit
der Kuriermaschine des Auswärtigen Amtes nach Hause bringen.«
Das hatte Büchner erst einmal ein wenig beruhigt. Seine Sachen waren im
Basislager am Illimani geblieben, er hatte nur noch das, was er am Leib
trug. Zum Glück gehörten die Kreditkarten und sein Ausweis dazu.
Frischmuth war der Notfallseelsorger der Botschaft. So hatte er sich
jedenfalls vorgestellt, gleich nachdem Major Quispe ihm erklärt hatte,
dass er für die Untersuchung des Vorfalles zuständig sei. Soweit
Büchner mit seinem Spanisch zurechtkam, ging der Major von einem Unfall
aus.
Wie Frischmuth die Sache sah, war Büchner nicht ganz so klar.
»Es hat einen engen Freund getroffen«, hatte er heute Morgen gesagt, als er sich zu Büchner ans Bett setzte. »Noch haben Sie die Gefühle, die dieser … Vorfall auslöst, nicht zugelassen.«
Büchner
ging das Gefasel von Trauma und Schock, von Schuld und Verantwortung
auf die Nerven. »Wenn Sie Ihre Beziehung zu Herrn Moser … zu Stefan
definieren müssten …«, sagte Frischmuth. »Wo würden Sie da ansetzen?
Stephan … Herr Moser bezeichnet Sie als seinen besten Freund. Das steht
jedenfalls auf der Internetseite Ihrer Firma. Sie haben diese Firma
gemeinsam aufgebaut. Sie entwickeln da … Spiele für Smartphones, nicht
wahr?«
»Games and Apps.«
»Ja!« Frischmuth strahlte. »Beeindruckend. In den Interviews zu diesem
Innovationspreis, den Sie bekommen haben, erzählen Sie viel über die
gemeinsamen Trekking-Touren. Wie Sie da als Team zusammengewachsen
sind. Feuerland, Tibet …«
»Alaska!«, sagte Büchner. »Alaska war das Beste.«
»Ich habe da allerdings nirgendwo etwas über die Diabetes Ihres Freundes gelesen.«
»Er hat die nicht an die große Glocke gehängt. Ist ja auch kein Ding mehr, heutzutage.«
»Natürlich nicht«, stimmte Frischmuth sofort zu. »Kein Ding.«
»Er hatte immer alles dabei«, meinte Büchner. »Tester, Insulin,
Spritzen, Glukose. Alles doppelt und dreifach. Eins im Rucksack, eins
am Mann, eins im Lager. Totale Sicherheit. Er war Typ 1; er wusste,
dass das gefährlich werden...
Die Geschichte dahinter:
Im Urlaub kann man was erleben - das war die Prämisse, mit der wir an
die Urlaubsgeschichte für die Anthologie der
Kurzkrimi-Glauser-Gewinnerin 2013 Regina Schleheck
herangegangen sind. Das meiste kann man in fernen Ländern erleben -
dehsalb ginges gleich bis fast auf die andere Seite der Erde - nach
Bolivien...