|
|
Die
besten Krimis des Jahres
|
26. Deutscher Krimi
Preis 2010 National
1. Platz: Ulrich Ritzel: Beifang
(btb)
Der
ausgediente Kriminalbeamte Hans Berndorf bekommt den Auftrag, private
Ermittlungen zu dem Mord an einer jungen Frau zu führen, deren Ehemann
als anscheinend bereits überführter Täter in Ulm vor Gericht steht.
Doch als Berndorf eintrifft, ist sein Auftraggeber- der Verteidiger des
Angeklagten- tot, auf dem Hauptbahnhof von einem Güterzug überrollt.
Hat er Selbstmord begangen oder ist er vor den Zug gestoßen worden? Das
ist nicht die einzige Frage, vor der Berndorf steht. Vor seinem Tod war
der Anwalt wiederholt in heftige Auseinandersetzungen mit dem
Vorsitzenden Richter geraten, weil ein seiner Ansicht nach für das
Verfahren entscheidendes Beweisstück spurlos verschwunden ist: ein
Schmuck, den die ermordete junge Frau getragen hatte. Dieser Schmuck -
eine Goldkette mit einem breiten Ring, auf dem in Miniatur das
biblische Motiv des Sündenfalls eingearbeitet war - führt Berndorf weit
über seinen ursprünglichen Auftrag hinaus...
Es
gibt noch eine Menge Gründe, die für diesen meisterhaften Kriminalroman
sprechen. Zuerst einmal ist das Buch spannend – und zwar nicht, weil es
einen Cliffhanger an den anderen reiht, sondern weil es den Leser
ständig und spielerisch herausfordert, den verdeckten Beziehungen
zwischen den Figuren nachzuspüren und den Verästelungen des mit
äußerstem Geschick aufgezogenen Doppelplots zu folgen. Zum anderen wird
die Wirklichkeitsnähe dieses Plots nicht bloß behauptet. In Ritzels
subtiler Beschreibung des diskreten Umgangs von Politik und Polizei
wird auf einmal klar, in welchen Schattierungen Vorteilsnahme,
Bestechung und Erpressung nicht nur hierzulande funktionieren.
Und schließlich ist der „Beifang“ außerordentlich gut geschrieben. Da
entwickelt sich anfangs manches so, wie es der Krimifan erwartet, aber
dann schwenkt die Geschichte in eine Richtung, die ganz neue
Perspektiven eröffnet – um dann am Ende doch wieder zu ihrem
Ausgangspunkt zurückzukehren. So, wie eine Geschichte eben erzählt
werden muss
Reinhard Jahn (FOCUS online)
2. Platz: Friedrich Ani: Totsein verjährt nicht
(Zsolnay)
Am 8. April 2002 wird die achtjährige Scarlett Peters zum letzten Mal
gesehen. Drei Jahre danach wird Jonathan Krumbholz, ein
vierundzwanzigjähriger, geistig zurückgebliebener Mann, wegen Mordes zu
lebenslanger Haft verurteilt. Sechs Jahre später bekommt Polonius
Fischer, Kommissar bei der Mordkommission in München, von einem
Schulfreund der Verschwundenen einen Brief. Er will Scarlett auf der
Straße erkannt haben. Ist dem Zeugen zu trauen? Ist Scarlett gar nicht
tot - obwohl ihre Mutter für sie ein Grab auf dem Neuen Südfriedhof
gekauft hat? Hat die Polizei sich geirrt?
»Totsein
verjährt nicht« ist ein Friedrich-Ani-Roman mit all dessen Stärken.
Proppenvoll mit Geschichten, die mit absolut genauem Blick für die
unschicken Milieus erzählt sind; mit dem Risiko zur Emotion (nicht zur
Sentimentalität), mit brillant konturierten Figuren. Ein ausgefuchster
Kriminalroman ohne hysterischen Plot; eine ganz normale Tragödie im
ganz normalen Irrsinn. So macht Kriminalliteratur Freude. Thomas Wörtche
3. Platz: Jörg Juretzka: Alles total groovy hier
(Rotbuch)
In
seinen bisher erschienenen Krimis um die Abenteuer des
Revier-Schnüfflers Kristof Kryszinski (Freunde dürfen ihn Krüschel
nennen) hat sich der Mülheimer Autor Jörg Juretzka als wahrer
Meister des knappen Dialogs, der sarkastischen Pointe und des
mitunter melancholischen Weltblicks erwiesen. Sein aktuelles Abenteuer
führt Krüschel mit seinem Biker-Kollegen Scuzzi an einen
gottverlassenen spanischen Küstenstreifen. Sie sollen und wollen für
die Biker-Gang der Stormfuckers ihren Kollegen Schisser zurückholen,
und die 180.000 Euro, mit denen er nach Spanien gefahren war, um
irgendwo eine kleine Ranch zu kaufen,wo die Stormfuckers in Ruhe Bier
trinken und Dope anbauen können. Was Krüschel und Scuzzi zunächst
finden: eine abgerockte Kommune von Spät-Hippies in einem verkommenen
Trailerpark in der Nähe einer malerischen Bucht. »Alles total groovy
hier« murmelt Scuzzi, alles total strange, überzeichnet bis ins
comedyhafte, denkt man. Doch das ist nur die halbe Geschichte. Die
andere Hälfte ist schlimm, grausam, blutig. Ihr Freund Schisser ist
tot, das finden Krüschel und Scuzzi bald heraus, das
Geld verbrannt. Krüschel entdeckt bald, dass Schisser sterben
musste, weil er etwas sah, was er nicht hätte sehen sollen.
Als
einer der besten deutschen Krimi-Autoren nimmt Jörg Juretzka sich nicht
nur das Recht, sondern stellt sich der Pflicht, den alten
Chandler-Marlowe weiterzudenken. Acht Krüschel-Krimis hat Jörg
Juretzka in den letzten elf Jahren geschrieben, Big Ray hat es scharf
gerechnet nur auf sieben Marlowe-Romane gebracht. Was das heißt? Dass
Juretzka schon weiter ist, als Chandler jemals kam. Dass er auf eigenen
Füßen steht und es nicht mehr nötig hat, sich das Etikett vom »Chandler
des Ruhrgebiets« anpappen zu lassen. Dieser Mann steht und geht auf
eigenen Füßen. Durch diese düsteren Straßen, durch die ein Mann gehen
muss. Reinhard Jahn (Focus-Online)
International
1. Platz: David Peace: Tokio im Jahr Null (Tokyo Year Zero) Deutsch von Peter Torberg (Liebeskind)
Tokio,
1946: die Hölle auf Erden. Die Stadt liegt in Trümmern, ebenso wie die
Seelen ihrer Bewohner. Es herrschen Angst und Korruption, niemand ist
der, der er zu sein vorgibt. Inmitten der Schuttberge geht ein brutaler
Serienmörder um, der junge Frauen missbraucht und erdrosselt. Die
Polizei verhaftet schnell einen Verdächtigen, der aber nur einen der
Morde gesteht. Inspektor Minami ist gezwungen, ältere Fälle neu
aufzurollen, um den Täter zur Strecke zu bringen. Doch dabei verstrickt
er sich in einem Netz aus Lügen und nackter Gewalt. Die Machenschaften
des organisierten Verbrechens werden für ihn zur tödlichen Gefahr,
genau wie die Intrigen innerhalb des Polizeiapparats. Langsam
zerfließen die Grenzen zwischen Wahn und Wirklichkeit, und die Taten
der Vergangenheit kommen ans Tageslicht. Denn auch auf Minamis
Schultern lastet eine schwere Schuld.
Das Tokio des Jahres Null
erscheint als eine einzige Apokalypse auf Erden. Regen, Blut und
Vergewaltigungen überall und dazwischen ein Inspektor, der im Krieg
selbst an Verbrechen beteiligt war. Nein, »Tokio im Jahre Null« ist
keine leichte Lektüre. Aber eine faszinierende: Eine machtvolle
Demonstration zu was Sprache im Stande ist. Andreas Ammer (DLF/ARD)
2. Platz: Roger Smith: Kap der Finsternis (Mixed Blood) Deutsch von Jürgen Bürger und Peter Torberg (Tropen bei Klett Cotta)
Kapstadt,
Südafrika: Eine Luxusenklave der Oberschicht mit Blick auf Ozean und
Tafelberg. Benny Mongrel bewacht mit seinem alterschwachen Hund, den er
sehr mag, einen protzigen Rohbau in diesem sehr elitären Viertel. Am
frühen Abend fällt ihm ein tiefer gelegter roter BMW auf.
Offensichtlich eine Gangsterlimousine aus den Slums der Cape Flats, den
Elendsquartieren der Coloured People. Die Insassen rauchen Dope und
betreten dann die Luxusvilla, vor der sie parken, offenbar in
mörderischer Absicht. Mongrel sieht kein Veranlassung, aktiv zu werden,
denn es handelt sich schließlich um Weiße. Mongrel gehörte
jahrzehntelang zu den farbigen Gangs der Cape Flats. Dieser Job nach
jahrzehntelanger Haft ist sein erster nicht krimineller Beruf. Am
nächsten Abend ist sein Erstaunen groß: Der rote Gangster-BMW steht
immer noch da, und die Familie der Luxusvilla hat anscheinend den
Überfall überlebt. Genauso baff: Ein fetter burischer Bulle mit zwei
Leidenschaften: Der Glaube an Jesus Christus und das Töten von
Farbigen. Der Name des Cops: Rudy Gatsby Barnard, der seit Jahren die
Slums Kapstadts ökonomisch abgreift. Die Gangster im roten BMW, der vor
der Luxusvilla parkt, schuldeten ihm Geld. Auf sein Klingeln öffnet der
Hausherr der Luxusvilla. Ein Amerikaner, der mit schwangerer Ehefrau
und kleinem Sohn für zwei Jahre das Anwesen gemietet hat. Barnard
riecht Nervosität und sehr viel Geld. Zu Recht: Denn Burns, der
US-Mieter, steht auf der Liste der meistgesuchten Bankräuber Amerikas.
Die
Welt – ein Ort der Verzweiflung, so die Botschaft dieses Meisterwerks.
Seit James Ellroy hat keiner mehr so radikal die Ausweglosigkeit
menschlichen Strebens formuliert. Fürwahr ein Meilensteins des Noir. Manfred Sarrazin (Krimibuchhandlung ALIBI)
3. Platz: Ken Bruen: Jack Taylor fliegt raus (The Guards) Deutsch von Harry Rowohlt (Atrium)
Als
Polizist lauert Jack Taylor nur mit einer Thermoskanne voll Brandy mit
einem Schuss Kaffee bewaffnet Verkehrssündern auf. Als ein schwarzer
Mercedes an ihm vorüberrauscht, hält er den Wagen an. Das Rückfenster
gleitet nach unten. Auf der Bank sitzt ein hoher Regierungsbeamter des
Finanzministeriums. Und Jack schlägt zu. Daraufhin fliegt Taylor
raus. Und macht als Privatdetektiv weiter. Er bezieht sein neues Büro
im Grogan's, dem einzigen Pub in Galway, in dem er noch nie Hausverbot
hatte. Eigentlich ein ernsthafter Ort für ernsthaftes Trinken. Doch
schon bald hat Jack seinen ersten Fall an der Backe.
Was Bruen
uns vorsetzt, ist düster, böse und zynisch, ein verbitterter Blick
einer von Wut, Verzweiflung und Alkohol durchtränkten Person, die das
Vertrauen in die Menschheit größtenteils verloren hat. Ein Rest von
Moral hält Jack Taylor zusammen – ein Rest von Moral, den er im Irland
kurz nach der Jahrtausendwende nicht mehr erkennen kann. Er bleibt aber
auf der Suche. Tief am Boden. Von Whiskygläsern und Pints. Lars Schafft (krimi-couch.de)
Die Jury: Kritiker:
Volker Albers (Hamburger Abendblatt) / Andreas Ammer (ARD) / Sönke
Boldt (Badische Neueste Nachrichten) / Jens Dirksen (Mediengruppe WAZ)
/ Joachim Dörr / Joachim Feldmann (Am Erker) / Tobias Gohlis (DIE ZEIT)
/ Günther Grosser (Berliner Zeitung) / Reinhard Jahn (Bochumer Krimi
Archiv) / Hermann Kling / Alf Mayer / Ulrich Noller (WDR/DW) / Michaela
Pelz (krimi-forum.de) / Wilhelm Roth (epd) / Lars Schafft
(krimi-couch.de) / Jan Christian Schmidt (kaliber38.de) / Erhard Schütz
/ Sylvia Staude (Frankfurter Rundschau) / Willy Theobald (Financial
Times Deutschland) / Jürgen M. Thie / Bettina Thienhaus / Karl Wegmann
(freier Journalist) / Thomas Wörtche
Krimi-Buchhandlungen:
Jutta Wilkesmann (Die Wendeltreppe, Frankfurt Main) / Manfred Sarrazin
(Alibi, Köln) / Monika Dobler (Glatteis, München) / Christian Koch
(Hammett, Berlin) / Thomas Przybilka (Missing Link) / (Robert Schekulin
(Buchhandlung Am Schwarzen Kloster, Freiburg) / Juliane Hansen
(Under-Cover, Stuttgart) / Cornelia Hüppe-Binder (Miss Marple, Berlin)
/Hans W. Kohlmann (Whodunnit, Leipzig)
|
|
www.deutscher-krimipreis.de |
|